Geschlechtskrankheiten auf dem Vormarsch

HIV/Aids kann heute gut behandelt werden. Es gibt aber einen neuen besorgniserregenden Trend: Andere fast vergessene sexuell übertragbare Krankheiten wie Syphilis nehmen zu. Das habe auch mit den Fortschritten bei HIV zu tun, so eine Expertin.

Über Jahrzehnte schien Syphilis unter Kontrolle zu sein. Ein Irrtum, wie sich jetzt herausstellt. Die Krankheit, die man gemeinhin eher mit vergangenen Jahrhunderten assoziiert, breitet sich in Europa wieder aus. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der diagnostizierten Syphilisinfektionen in Europa um 70 Prozent gestiegen. Das zeigen Zahlen des Europäischen Zentrums für Krankheitskontrolle und Prävention (ECDC). Im Jahr 2017 wurden 33.000 Fälle gemeldet, 2007 waren es noch 19.000 Fälle.

US-Plakatkampagne zu Syphilis

Frederic J. BROWN / AFP

US-Plakatkampagne zu Syphilis

Das dürfte einerseits damit zusammenhängen, dass Syphilis, besonders in frühen Stadien, hochansteckend ist. Andererseits glauben Forscher, dass das auch eine Folge der Fortschritte bei der Behandlung von Aids ist.

Mit der Ausbreitung von HIV wurden weltweit Safer-Sex-Programme gestartet und die Benutzung von Kondomen beim Geschlechtsverkehr empfohlen. Das hat die Syphilis weiter stark zurückgedrängt (einen schweren Schlag hatte ihr bereits die Einführung wirksamer Antibiotika versetzt). Mit immer besseren Behandlungsmöglichkeiten von Aids nimmt mittlerweile aber auch die Lust am Safer Sex wieder ab, sagte die Direktorin der ECDC, Andrea Ammon: „Wir beobachten seit einigen Jahren, dass sexuell übertragbare Krankheiten vermehrt gemeldet werden. Wir erklären uns das dadurch, dass die Menschen wieder seltener Kondome benutzen, jetzt, da man HIV gut behandeln kann und es sogar eine vorbeugende Präexpositionsprophylaxe gibt.“

Riskanter Sex

Die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) ist durchaus umstritten. Es handelt sich um eine Art vorbeugender Behandlung von HIV: Wenn Gesunde diese Medikamente einnehmen, sind sie vor einer HIV-Infektion weitgehend geschützt. Dass das aber dazu führen könnte, dass Menschen wieder riskanteren Sex haben, wurde von Kritikern von Anfang an angemerkt. Befürworter meinen aber, dass der Schutz vor einer HIV-Infektion die Risiken überwiegt.

Neben Syphilis beobachten die Ärzte auch weiterhin hohe oder sogar steigende Fallzahlen bei anderen Erkrankungen, wie Chlamydien oder der Gonorrhoe (umgangssprachlich „Tripper“). 2017 wurden in Europa 409.646 Chlamydieninfektionen diagnostiziert – in einigen Ländern aber um ein Vielfaches mehr als in anderen – was laut den Forschern darauf zurückzuführen sein dürfte, dass auf diese Krankheit nicht überall ausreichend häufig getestet wird. Damit dürfte aber auch die Dunkelziffer hoch sein. Im selben Jahr wurden 89.239 Fälle von Gonorrhoe gemeldet, 17 Prozent mehr als im Vorjahr.

Regelmäßig testen lassen

All diese Erkrankungen können sehr erfolgreich behandelt und – im Gegensatz zu einer HIV-Infektion – auch geheilt werden. Allerdings sollte man sie dennoch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn schon heute gibt es Infektionen mit Keimen, die gegen viele Antibiotika resistent sind – und Experten vermuten, dass die Resistenzen weiter zunehmen werden, womit die Behandlung immer schwieriger wird. Zudem kann bei einer Infektion die Fruchtbarkeit beeinträchtigt werden, so Ammon. Und unbehandelt kann die Syphilis sogar sehr gefährlich werden. Sie verläuft in mehreren Stadien – im letzten Stadium, der Neurolues, greift die Erkrankung das Nervensystem an und führt bei manchen Patienten zu einer chronischen Gehirnentzündung mit schweren Folgeschäden.

Daher empfehlen Experten schon länger, dass sich Menschen, die viel Sex mit unterschiedlichen Partnern habe, sich regelmäßig auf Geschlechtskrankheiten testen lassen, wenigstens einmal jährlich. Das kann beim Arzt passieren oder bei Beratungsstellen wie der Aids-Hilfe. Falls man sich eine Infektion eingefangen hat, kann sie dann zumindest rechtzeitig behandelt werden.

Jens Lang, ZIB-Wissenschaft

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