Übersetzer - „literarische Influencer“

Die Rolle von Übersetzern und Übersetzerinnen ist in der Literatur lange übersehen worden. Jetzt werden die „literarischen Influencer“ zunehmend zum Gegenstand der Forschung. Ein Beispiel betrifft den Wiener Zsolnay Verlag, wie die Translationswissenschaftlerin Tatsiana Haiden in einem Gastbeitrag schreibt.

Der Übersetzer spielt eine wichtige Rolle in der Gesellschaft, aber oft bleibt sein Einfluss unsichtbar. Der Translationswissenschaftler Anthony Pym bezeichnet das als „translator´s invisibility“. In den letzten Jahren ist ein neues Subfeld in der Disziplin entstanden – die Translator Studies.

Kulturwissenschaftlerin Tatsiana Haiden

IFK

Die Autorin

Tatsiana Haiden forscht am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) zum Thema: „Rethinking the Role of the Translator. The Zsolnay Publishing House, 1924–1938“ - am 9. Dezember stellt sie ihr Forschungsprojekt im Rahmen einer IFK-Lecture vor.

Der Fokus liegt auf den Übersetzerinnen als Personen, dem sozialen Kontext und den Bedingungen, unter denen sie aufgewachsen sind, der gesellschaftlichen Situation, in der sie arbeiten, den Netzwerken, die sie bilden.

Übersetzen wird heute nicht mehr als Hobby oder Nebenjob gesehen, wie es lange Zeit üblich war, sondern als ein etabliertes professionelles Feld. Übersetzerinnen engagieren sich für ihre Rechte, sie helfen, internationale Konflikte zu lösen, arbeiten in Kriegssituationen, sie schreiben Vorworte und Fußnoten, sie machen sich im Text und in der Gesellschaft präsent.

Translationsgeschichte

Den Ursachen für den heutigen Aktivismus kann man durch historische Rekonstruktionen nachgehen. Im Rahmen der Translator Studies wird dafür schon einiges getan: In Deutschland und Schweden werden Übersetzerlexika kreiert; in Graz wird die Tätigkeit der Übersetzerinnen in Kriegskonflikten untersucht, in Wien wird das Thema „Übersetzen im Exil“ erforscht, eine Sommerschule in Translationsgeschichte organisiert und die Online-Zeitschrift Chronotopos herausgegeben.

Auch die Verlagsgeschichte ist ein produktives Untersuchungsfeld, um den Translationsprozess und die Rolle des Übersetzers zu erforschen. In der Recherche in Verlagsarchiven zeigt sich, wie vielfältig und kompliziert der Prozess des Übersetzens ist: von der Idee, ein Buch zu übersetzen, bis hin zu zahlreichen Neuübersetzungen oder eventuellen Übersetzungsverboten, etc. Im Verlag wird reflektiert, was in der Gesellschaft passiert, welche Motivationen die Akteure haben, welche Bücher bei welchem Publikum gefragt sind.

Besucher einer Buchmesse

APA/dpa-Zentralbild/Jens Kalaene

Die Übersetzer sind Mediatoren zwischen Autoren und Verlag, beobachten die Auslandsbuchmärkte und beeinflussen die Translationspolitik des Verlages langfristig. Ein interessantes Beispiel hierfür ist der Wiener Zsolnay Verlag mit seinen Übersetzerinnen in der Zwischenkriegszeit.

Der Zsolnay Verlag

Der Verlag wurde 1924 von dem ungarischen Juden Paul Zsolnay gegründet. Ein Drittel aller Publikationen waren Übersetzungen – der Verlag arbeitete von Anfang an mit großen Autoren wie John Galsworthy und Shalom Asch zusammen. Nach 1931 publizierte Zsolnay unpolitische Übersetzungen aus dem Ungarischen und Schwedischen. Ungarische Literatur wurde ihm damals aktiv von Kate und Andreas Gaspar vorgeschlagen. Die beiden jüdischen Übersetzer brauchten Geld, sie übersetzten schnell und viel. Ein Brief von der Reichsschriftkammer 1938 untersagte Zsolnay die weitere Zusammenarbeit mit ihnen.

Paul Zsolnay, Archivbild

ÖNB

Paul Zsolnay, 1956

In den 30er-Jahren waren 80 Prozent der Übersetzer des Zsolnay Verlags Juden. Sie alle, inklusive Paul Zsolany selbst, schafften es, ins Exil zu gehen. Ada Galsworthy, die Ehefrau des Schriftstellers, half nicht nur dem autorisierten und bevollmächtigten Vertreter und Übersetzer von John Galsworthy im deutschen Sprachraum – Leon Schalit, sondern auch Paul Zsolnay nach England zu flüchten. Auch das Ehepaar Polzer, Annie und Viktor, Übersetzer aus dem Englischen, konnten dank der Verbindungen, die sie während ihrer Tätigkeit als Übersetzer für Zsolnay aufgebaut hatten, ins Exil gehen.

Wenn man über die Rolle der Übersetzer in der Geschichte des Zsolnay Verlages spricht, muss auch Richard Hoffmann erwähnt werden. Er war der Einzige, der in Vollzeit als Übersetzer angestellt war, und er beriet auch die Verlagsleitung bei Fristen und Preisen für Übersetzungen.

Übersetzerischer Aktivismus

Recherchen im Zsolnay Korrespondenzarchiv zeigen, dass auch vor 100 Jahren die Übersetzer den Übersetzungsprozess reflektierten. Paul Amann, Übersetzer aus dem Englischen, diskutierte mit dem Verleger einige Aspekte seinen Übersetzungen: “Sie wissen, ich bin nicht eigensinnig, vielmehr für Anregungen jeder Art immer dankbar – ‚genug ist nie genug‘ gilt auch für die Kunst des Übersetzens – wenn ich einmal sage: Das kann ich nicht schlucken, so müssen sie mir glauben, dass sich wirklich jede Form Instinkt in mir gegen einen Teil empört, der unter meiner Verantwortlichkeit als Übersetzer in die Welt gehen soll.” Der autorisierte Übersetzer von Schalom Asch, Siegfried Schmitz, schieb bei jeder Übersetzung „Das Buch kann nur so sein, wie es ist“.

All diese Faktoren weisen auf die damalige Rolle des Übersetzers im Verlag hin und auf eine Vorbereitung des heutigen activist turn, in dem sich das professionelle Selbstbewusstsein der Übersetzer zeigt. Übersetzer beeinflussten die Literaturauswahl, die Verbindung zwischen Verlag und Autoren, die Titel der Publikationen, Reaktionen des Publikums und die Werbung. Damals wie heute sind Übersetzerinnen wichtige literarische Influencer.

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