Europas Raumfahrt feiert Geburtstag

Am Heiligen Abend vor 40 Jahren hob erstmals eine Trägerrakete vom Typ Ariane ab – und ermöglichte Europa einen eigenen Zugang in den Weltraum. In wenigen Monaten wird bereits die sechste Ariane-Generation an den Start gehen.

Es ist Heiliger Abend 1979, kurz nach 18.00 Uhr. Vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana zündet eine Rakete vom Typ Ariane die Triebwerke und löst sich wie erwartet mit kräftigem Schub von der Startrampe. Ihr Ziel: die Erdumlaufbahn. Dorthin hatte es Europa bisher noch nie aus eigener Kraft geschafft. Zuvor waren Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre alle Versuche mit dem Vorgänger, einer Trägerrakete namens Europa, gescheitert.

Start der Ariane 1

APA/AFP/CNES/STAFF

Der erste Start im Jahr 1979

Fehlstarts bleiben auch den Raketen der Ariane-Familie nicht erspart. „In der Geschichte von Ariane ist man eigentlich nie gestartet, wenn man nicht das volle Vertrauen hatte zu der Rakete“, erinnert sich Claus Lippert vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Bonn. Jede Weltraumrakete bestehe aus einer Unmenge an Einzelteilen, außerdem gebe es wenig Redundanz, also wenig Ersatzgeräte, die einspringen und die gleichen Aufgaben übernehmen können. So seien sämtliche Antriebsmotoren nur einfach vorhanden. „Wenn ein Teil nicht funktioniert, dann ist es normalerweise mit einer Rakete vorbei.“

Europa überholt die USA

Von bisher 250 Ariane-Starts gingen neun daneben – eigentlich keine schlechte Bilanz. Zuverlässige Raketen erreichen weltweit eine Erfolgsquote von etwa 97 Prozent. Trotzdem heißt das: Bei 100 Starts muss man mit drei Verlusten rechnen. Diese Quote noch zu erhöhen, ist so gut wie unmöglich. „So ist das bei Raketenstarts: Ein kleiner Fehler wird nie vergeben“, gesteht Lippert.

Mit jeder neuen Generation, mit jeder Weiterentwicklung der Ariane wurde Europas Weltraumrakete zuverlässiger. Das muss auch die Konkurrenz zugeben. Der US-Astronaut Kent Rominger ist für die amerikanische Weltraumbehörde (NASA) fünfmal mit dem Space Shuttle ins All geflogen. Vor einem Jahrzehnt äußerte er sich noch so über den Mitbewerber aus Europa: „Die Ariane 5 ist zurzeit die leistungsfähigste kommerzielle Rakete auf dem Planeten. Sie befördert mehr als die Hälfe aller kommerziellen Satelliten in All.“

Sendungshinweis

Diesem Thema widmete sich auch ein Beitrag im Ö1-Morgenjournal am 23.12.19 um 7.00 Uhr.

Raumfahrt bedeutet Wettbewerb

Das stimmte auch – vor zehn Jahren. Doch die Konkurrenz schlief seitdem nicht. Mathieu Chaize von der ArianeGroup in Paris schätzt die derzeitige Wettbewerbslage von Europas aktueller Vorzeigerakete, der Ariane 5, so ein: „Die Ariane 5 ist nach wie vor eine höchst zuverlässige Rakete. Und sie ist ein wirtschaftlicher Erfolg.“ Aber der Wettbewerb sei in der Vergangenheit immer aggressiver geworden – zum Beispiel durch den Aufstieg der kalifornischen Raumfahrtfirma SpaceX. „Wir müssen also die Kosten unserer Ariane-Raketen senken.“

Weltraumbahnhof Kourou: Ariane-5-Rakete beim Start

APA/AFP/jody amiet

Ariane 5: Lift-off in Französisch-Guayana

Heute entfällt nur noch etwa ein Drittel aller Raketenstarts weltweit auf die Ariane 5. Aufgrund geringerer Startkosten hat SpaceX mit seiner Falcon 9 mittlerweile mehr Kunden gewonnen als die Europäer. Die Dinge haben sich geändert, das muss auch Julio Monreal von der Europäischen Weltraumagentur (ESA) zugeben. „Heutzutage brauchen wir ein anderes Startsystem – eines, das flexibler ist und wettbewerbsfähiger.“ Der Markt sei heute viel härter. „Unsere Kunden wollen jede beliebige Mission zu jedem beliebigen Zeitpunkt starten können.“

Durchstarten im Orbit

Und so kommt nach der Fünf die Sechs. Ariane 6 heißt das neueste Mitglied der europäischen Raketenfamilie. Es wird flexibler sein, weil es wahlweise mit zwei oder mit vier Zusatzstufen fliegen kann. Diese Stufen werden seitlich an der Rakete angebracht und den nötigen Schub zum Abheben liefern. „Ariane 6 kann alles, was Ariane 5 konnte“, so Mathieu Chaize von der ArianeGroup. Sie sei sogar schubstärker und könne schwerere Lasten auf eine Umlaufbahn befördern. Und sie könne Missionen fliegen, die Ariane 5 bisher nicht habe fliegen können.

Künstlersiche Darstellung der Ariane 6

ESA/ Ducros

Die europäische Raketenfamilie geht in die sechste Generation

Damit spielt der Franzose auf die Möglichkeit an, im All anzuhalten und wieder durchzustarten. „Wir können künftig Konstellationen von 80 oder 90 kleinen Satelliten auf einmal in den Weltraum befördern.“ Um sie auf Umlaufbahnen in unterschiedlichen Höhen zu platzieren, müssen sich die Triebwerke ab- und wieder einschalten lassen. Das geht mit der Ariane 6 bis zu dreimal pro Flug. „Das dürfte ein entscheidender Game-Changer für uns werden“, glaubt Chaize.

Ariane 6 ... 7 ... ff.

Im Juli soll die Ariane 6 zu ihrem ersten Testflug abheben. Doch die Geschichte bleibt nicht stehen. Denn auch die neueste Ariane-Version lasse sich weiterentwickeln. Verbesserungsbedarf bestehe immer, findet Ansgar Marwege von der Abteilung Über- und Hyperschalltechnologien am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. „Weder landet die Ariane 6 vertikal noch ist sie wiederverwendbar.“ Das sei dann die nächste Aufgabe für die Zukunft und die nächste Ariane-Generation. „In Europa gibt es einen Trend dazu, diese Technologien zu erforschen“, so der deutsche Ingenieur. „Letztendlich muss sich dann in Europa ein gemeinsamer Nenner finden, wann man das umsetzt - und wie man das umsetzt.“

Auch hier macht SpaceX aus den USA Europa Konkurrenz: Die ausgebrannten Stufen der Falcon-9-Rakete kehren nach Brennschluss zurück zum Startplatz und landen vertikal, setzen also aufrecht auf. Aber – Europa bleibe dran, so Ansgar Marwege. „Wir machen die Grundlagenforschung, um zu verstehen, ob dieses Konzept sinnvoll ist. Was später die Industrie oder das Management in Europa daraus macht, das ist dann deren Entscheidung.“ Und so dürfte Europas Raketenfamilie auch nach der Ariane 6 weiterwachsen – so ungefähr alle zehn Jahre mit einer neuen Zahl hinter dem Namen.

Guido Meyer, Ö1-Wissenschaft

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