Sehen ohne Augen

Eine Art der Schlangensterne hat keine Augen und kann doch sehen. Die Meeresbewohner verändern außerdem in der Nacht ihre Farbe. Dass diese beiden Besonderheiten miteinander zusammenhängen, haben nun britische Forscherinnen herausgefunden.

Sie haben die Art Ophiocoma wendtii untersucht: Die Verwandten der Seesterne und Seegurken leben auf Korallenriffen in der Karibik, haben einen Körperdurchmesser von rund fünf Zentimetern und fünf Arme, die bis zu 25 Zentimetern lang sein können. Mit ihrem täglichen Farbwechsel sind die Schlangensterne der Forschungsgemeinde vor 30 Jahren erstmals aufgefallen. Während sie tagsüber rötlich schimmern, wandeln sie sich in der Nacht zu einem dezenten Beige. Zudem zeigen die Tiere eine deutliche Abneigung gegen Licht - ermöglicht durch tausende lichtsensible Zellen auf ihren fünf Armen.

Die Zoologin Lauren Sumner-Rooney vom Naturhistorischen Museum der Universität Oxford hat nun mit Kollegen hunderte Verhaltensexperimente mit den Schlangensternen gemacht. Wichtigstes Ergebnis der im Fachmagazin „Current Biology“ veröffentlichten Studie: Die Tiere suchen gezielt Plätze mit starken Kontrasten aus – und zwar, um sich vor Feinden zu schützen, so die Interpretation der Forscherin. Auch wenn der Sehsinn der Schlangensterne eher plump ist, reicht er offenbar aus, um sich auf den überfüllten Korallenriffen schnell in Sicherheit zu bringen.

Schlangenstern, der in einer Felsspalte Schutz sucht

Heather Stewart

Schlangenstern, der in einer Riffspalte Schutz sucht

In der Nacht hingegen taten dies die Tiere nicht. „Darüber waren wir überrascht“, sagt Sumner-Rooney, „denn die Lichtsinneszellen schienen weiter aktiv“. Der naheliegende Schluss, dass es in der Nacht dunkel ist und die Schlangensterne deshalb nichts sehen, sei nicht der Grund. Die Ursache liegt laut der Forscherin vielmehr in den Tieren selbst.

Die rötliche Pigmentierung beschränke tagsüber den Winkel des einfallenden Lichts und ermögliche so das Sehen. Die beige Nachtfarbe hingegen würde einen viel weiteren Einfallwinkel zulassen, der ein räumliches Sehen verhindert. „Das ist eine sehr aufregende Entdeckung“, sagt Sumner-Rooney. „Schon vor 30 Jahren wurde vorgeschlagen, dass der Farbwechsel der Schlangensterne der Schlüssel für ihre Lichtempfindlichkeit ist. Wir sind deshalb sehr glücklich, diese Wissenslücke füllen und den Mechanismus beschreiben zu können.“

Dieser Mechanismus funktioniert ähnlich wie bei bestimmten Seeigeln – den zweiten bekannten Vertretern von Tieren, die ohne Augen sehen können.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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