Physiker stellt Determinismus in Frage

Während in der Quantenmechanik der Zufall regiert, soll in der klassischen Physik alles genau vorherbestimmt sein. Ein Physiker von der Uni Wien und der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) fordert diese gängige Sichtweise nun heraus.

Seine neue Interpretation der klassischen Physik hat Flavio Del Santo vom Institut für Quantenoptik and Quanteninformation (IQOQI) der ÖAW und der Fakultät für Physik der Uni Wien mit seinem Kollegen Nicolas Gisin von der Universität Genf (Schweiz) kürzlich im Fachjournal „Physical Review A“ veröffentlicht.

Wohin rollen die Kugeln?

Wenn man die Positionen der Kugeln auf einem Billardtisch genau kennt und außerdem noch weiß, wie schnell und in welche Richtung die weiße Kugel angestoßen wurde, lässt sich mithilfe der Gesetze der klassischen Mechanik genau vorhersagen, wo jede einzelne Kugel schließlich landen wird - zumindest theoretisch. Um tatsächlich eine exakte Voraussage treffen zu können, müssten auch noch die Anfangsbedingungen jedes physikalischen Teilchens im Tisch und in der Luft bekannt sein.

Das mag zwar in der Praxis unmöglich sein, dennoch ist der Determinismus, also die Auffassung, dass alle Ereignisse durch ihre Anfangsbedingungen eindeutig festgelegt sind, eine der Grundthesen der klassischen Physik. In der vor knapp hundert Jahren formulierten Kopenhagener Deutung der Quantenphysik spielt dagegen der absolut unvorhersehbare Zufall eine zentrale Rolle und verhindert konkrete Vorhersagen.

Bagatelle-Spiel

Nikki Tysoe, bagatelle, Uploaded by McGeddon, CC BY 2.0

Blick auf ein „Bagatelle“-Spielfeld

“Auch mechanische Vorgänge sind verschwommen“

Genauso wie allerdings auch deterministische Interpretationen der Quantenmechanik existieren, hat Del Santo und sein Kollege Gisin nun eine neue, nicht-deterministische Interpretation der klassischen Physik formuliert. „In unserer Beschreibung sind auch klassische mechanische Vorgänge in der Zukunft verschwommen, und nicht eindeutig vorhersehbar“, erklärte Del Santo gegenüber der APA.

Zur Veranschaulichung dient den Physikern das Spiel „Bagatelle“, bei dem eine Kugel eine schiefe Ebene hinabrollt und dabei auf Hindernisse stößt, an denen sie entweder links oder rechts vorbeirollen kann. Während für das unmittelbar bevorstehende Hindernis noch eine genaue Vorhersage möglich ist, auf welcher Seite die Kugel es passieren wird, sind der neuen Sichtweise zufolge die Ausgänge der weiter in der Zukunft liegenden Ereignisse noch völlig unbestimmt.

Eine Bagatelle

„Ob die Kugel an diesen Hindernissen links oder rechts vorbeirollt, ist unserer Interpretation zufolge nicht vorher festgelegt. Der Ausgang wird erst dann konkret, wenn sich die Kugel dem Hindernis nähert“, sagte Del Santo. Das entspreche in etwa dem Bild aus der Quantenmechanik, wo der Zustand eines Systems erst zum Zeitpunkt der Messung festgelegt wird.

„Unsere neue Sicht der Dinge ändert aber natürlich nichts am letztendlichen Ausgang des Experiments“, so Del Santo. Die beiden Interpretationen mit oder ohne Determinismus ließen sich experimentell nicht voneinander unterscheiden und seien so gesehen gleichwertig.

science.ORF.at/APA

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