Feindbild: Jüdischer Kommunist

Verschwörungstheorien gibt es viele. Besonders verhängnisvoll sind solche, die sich gegen bestimmte Gruppen von Menschen wenden. Eine der gefährlichsten war und ist die Theorie vom Judäo-Bolschewismus.

Im Oktober 2018 erschoss ein US-Amerikaner in einer Synagoge in Pittsburgh elf Menschen. Seine Begründung: Die Juden hätten sich gegen das „weiße“ Amerika verschworen, um es zu vernichten. Deshalb würden sie Muslime und andere unerwünschte Einwanderer einschleusen. So absurd diese Verschwörungstheorie klingt: Sie hat lange Wurzeln.

„Um die Weltherrschaft zu übernehmen ...“

Der Judäo-Bolschewismus, auch jüdischer Bolschewismus genannt, war ein antisemitisches Verschwörungskonzept, das während der Russischen Revolution 1917 aufkam und sich schnell verbreitete. Juden hätten den Kommunismus erfunden, um die alte Ordnung zu zerstören und die Weltherrschaft zu übernehmen, behaupteten die Konterrevolutionäre. Der Zerfall des Zarenreichs, die Oktoberrevolution, der anschließende Bürgerkrieg - all das sei Plan der jüdischen Verschwörung gewesen.

1938: Propagandapostkarte zur Ausstellung "Der ewige Jude" zeigt othodoxen Juden mit Geldmünzen, Hammer und Sichel

ONB (S 278/13)

Propaganda aus dem Jahr 1938

Die Konterrevolutionäre stützten sich dabei auf ein uraltes Vorurteil vom bösen Juden, erklärt der US-amerikanische Historiker Paul Hanebrink von der Rutgers University in New Jersey: „Schon lange vorher schrieb man den Juden alle möglichen schlechten Intentionen zu. Der Judäo-Bolschewismus war somit eine moderne Ausprägung eines noch viel älteren Mythos.“

Verfolgung als Präventivmaßnahme

Dieser Mythos hatte für die Juden in Mittel- und Osteuropa furchtbare Folgen. Rund 180.000 Juden kamen damals bei Pogromen von konterrevolutionären Weißgardisten und den Anhängern der ukrainischen Nationalregierung ums Leben.

Auch in vielen anderen europäischen Ländern und in den USA stieß die Vorstellung vom Judäo-Bolschewismus auf fruchtbaren Boden. Jüdische Minderheiten wurden vielerorts diskriminiert und Juden, die vor der Verfolgung in Osteuropa geflohen waren, wurden von anderen Ländern nicht aufgenommen, weil sie das „Virus der Revolution“ in sich tragen könnten und somit potentielle Unruhestifter seien, beschreibt Paul Hanebrink die Situation nach dem Ersten Weltkrieg.

Auch Hitler bediente sich bei diesem kruden Konzept: Er rechtfertigte Gewalt gegen Juden und Kriegshandlungen gegen die Sowjetunion als präventive Schutzmaßnahme gegen die „jüdisch-bolschewistische Bedrohung“ aus der Sowjetunion, die gegen den ethnischen Nationalismus gerichtet sei und ganz Europa „asiatischen Barbarenhorden“ unterwerfen wolle – angeführt natürlich von jüdischen Kommunisten. Eine gedankliche Basis auch für seine Verfolgung und Ermordung von Millionen Juden.

Cover des Buches "A Specter Haunting Europe. The Myth of Judeo-Bolshevism"

Harvard University Press

Paul Hanebrink hielt am 16.1. im Österreichischen Staatsarchiv einen Vortrag zum Thema Judäo-Bolschewismus. Er war Gast des Wiener Wiesenthal Instituts für Holocaust-Studien. Sein Buch „A Specter Haunting Europe. The Myth of Judeo-Bolshevism“ ist 2018 bei Harvard University Press erschienen.

Innere Widersprüche

Zwar gab es unter den kommunistischen Anführern in Europa tatsächlich einige Juden – Leo Trotzki, Rosa Luxemburg und Karl Marx sind nur die berühmtesten Beispiele. Doch der Großteil der jüdischen Bevölkerung war dem Kommunismus eher abgeneigt, erklärt Paul Hanebrink. Zum Beispiel in Polen: Dort waren in den 1920er Jahren 20 bis 40 Prozent der Mitglieder der Kommunistischen Partei jüdischer Herkunft, aber nur 7 Prozent der polnischen Juden stimmten für die KP.

Hanebrink geht es aber nicht hauptsächlich darum, den Judäo-Bolschewismus durch Zahlen zu widerlegen. Vielmehr dekonstruiert er ihn als eine Variante des Mythos vom angeblichen bösen jüdischen Komplott, zeigt innere Widersprüche auf und macht deutlich, dass dieser Mythos von der geheimen jüdischen Verschwörung auch heute noch existiert – in neuer Form.

Mythos lebt weiter

Während des Kalten Kriegs wurden Jüdinnen und Juden weiterhin als bösartige Verschwörer denunziert - wahlweise als Kommunisten oder zionistische Agenten. Der „Zionismus“ war bereits in der Stalin-Ära ein Schimpfwort gewesen, um politische Gegner zu diskreditieren. In Polen schrieb man die Studentenunruhen im Jahr 1968 ebenfalls den Zionisten zu und sorgte mit dieser Stimmungsmache dafür, dass ein Großteil der Juden, die den Holocaust überlebt hatten, nun das Land verließ.

Heute treten in den USA und in Europa wieder Gruppierungen auf, die mit jüdischen Verschwörungstheorien Hass schüren möchten. Sie verbinden Antisemitismus mit Fremdenhass und benutzen die Mär von der jüdischen Verschwörung, um gegen die „Islamisierung“ zu kämpfen. So behaupten manche Rechtsradikale, der jüdische Stifter George Soros fördere die Migration, um die Europäer oder eben die sogenannte „Weiße Rasse“ zu verdrängen. Eine Parallele zu den 1930er Jahren, zeigt Hanebrink: Damals wollten die Rechten das christliche Europa gegen die judäo-bolschewistische Bedrohung verteidigen. Heute benutzen rechtsextreme Gruppen diesen Mythos, um gegen die angebliche „Islamisierung“ Westeuropas gewaltsam vorzugehen.

Hanna Ronzheimer, Ö1-Wissenschaft

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