So sehen Atome aus

Zwei Atomen zusehen, wie sie Elektronen austauschen? Unmöglich, die sind doch viel zu klein! Das galt bis vor Kurzem: Einem englisch-deutschen Forscherteam ist dieses Kunststück tatsächlich gelungen.

„Ham’s schon eins gesehen?“ Mit diesen Worten pflegte einst Ernst Mach (1838-1916) Diskussionen über die mögliche Existenz von Atomen abzuwürgen. Derlei Spekulationen, so befand der österreichische Physiker, seien gut bei den Philosophen, speziell bei den Metaphysikern aufgehoben, aber in den empirischen Wissenschaften möge man sich doch bitte auf das Gegebene und Messbare beschränken. Und nein, natürlich hatte keiner von Machs Zeitgenossen jemals ein Atom gesehen.

Neue Mikroskopietechnik

Was kein Wunder ist. Wie man heute weiß, rangiert der Durchmesser von Atomen im Bereich von Pikometern (Billionstel Metern), da ist mit Lichtmikroskopen einfach nichts zu machen. Nur müssen es eben nicht Lichtwellen sein, die uns ein Bild vom Mikrokosmos vermitteln, im Prinzip geht das auch mit Elektronenstrahlen. Ein Team um Andrei Khlobystov, University of Nottingham, und seiner deutschen Fachkollegin Ute Kaiser hat nun eine neue Variante der Elektronenmikroskopie namens SALVE TEM vorgestellt, die tatsächlich einen Blick in solche Dimensionen ermöglicht.

Zum Beweis haben die Forscher ihrer Studie ein Video beigefügt, das wohl auch den Skeptiker Ernst Mach überzeugt hätte: Darin fällt zunächst die wabenförmige Oberfläche von „carbon nanotubes“ ins Auge. Diese mikroskopisch kleinen Kohlenstoffröhrchen bilden die Bühne jener chemischen Reaktion, die die Forscher in ihrer Studie beschreiben.

Hauptakteure in dem Video sind zwei Rhenium-Atome – zu sehen in der oberen Bildmitte als zwei schwarze Punkte: Sie bilden ein zweiatomiges Molekül, Re2. Die Beziehung der beiden ist unstet, mal tauschen sie nur ein Elektron aus, mal bis zu fünf, bisweilen auch gar keines. „Das kann man daran erkennen, dass sich der Abstand zwischen den Atomen sprunghaft ändert“, erklärt Khlobystov im ORF-Interview. Der britische Chemiker hat ein geschultes Auge, für Laien sind diese Abstandsänderungen nicht so einfach zu erkennen, vermessen kann man sie jedenfalls – und sie stimmen exakt mit der Vorhersage der Theorie überein, die da lautet: Am häufigsten sollten die Rhenium-Atome vier Elektronen teilen, „Quadrupol-Bindung“ heißt dieser Zustand.

Atome im natürlichen Habitat

Einfacher zu erkennen ist in dem Film die ständige Bewegung aller Atome. Die Nanoröhrchen sind an sich fest, doch im Mikrokosmos wabern sie durch die allgegenwärtige Wärmeenergie (der Versuch wurde bei Zimmertemperatur durchgeführt). Das gilt zumal für die frei beweglichen Rhenium-Atome, die mitunter auch Sprünge machen. Zwischen Sekunde sieben und acht des Videos machen sie sogar einen ganz großen Sprung: Das ist allerdings nicht der Wärme geschuldet, sondern dem Elektronenstrahl des Mikroskops, erklärt Khlobystov. „Wenn die Atome einen Volltreffer auf den Kern abbekommen, kann das passieren.“

Einen praktischen Nutzen hat die Veranschaulichung auch. Nachdem die chemische Bindung von Metallen – zu denen auch Rhenium gehört – noch immer Rätsel aufgibt, könnten Fortschritte auf diesem Gebiet Konsequenzen für ganze Industriezweige haben. Khlobystov hofft, dass seine Technologie einmal zum chemischen Laborstandard wird, etwa so, wie das heute bei der Spektroskopie der Fall ist.

Solche methodischen Durchbrüche werden auch immer wieder vom Nobelpreis-Komitee gewürdigt, zuletzt 2017. In diesem Jahr wurden drei Forscher aus Deutschland, der Schweiz und den USA für die Entwicklung der sogenannten Kryo-Elektronenmikroskopie ausgezeichnet - eine Methode, mit der man präzise Aufnahmen von Molekülen anfertigen kann. Wohlgemerkt statische Aufnahmen, gefilmt hat die Atome bisher noch niemand.

Robert Czepel, science.ORF.at

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