Die Hölle von Auschwitz überleben

Am 27. Jänner 1945 hat die Rote Armee das KZ Auschwitz befreit. Dort waren Gustav und Fritz Kleinmann über zwei Jahre interniert - der Sohn war dem Vater freiwillig in das NS-Vernichtungslager gefolgt. Wie sie die NS-Hölle überlebten, offenbart ein geheimes Tagebuch.

Gustav Kleinmann, ein jüdische Tapezierer aus Wien, fing am 2. Oktober 1939 an, in sein Tagebuch zu schreiben. Das war der Tag, an dem er und sein Sohn Fritz im Konzentrationslager Buchenwald ankamen. Und er verfasste den letzten Eintrag im Sommer 1945, in einem Zug Richtung Konzentrationslager Mauthausen, irgendwo in Deutschland.

Nachbarn werden zu Feinden

Der Historiker und Autor Jeremy Dronfield stieß über einen befreundeten Historiker aus Österreich auf das Tagebuch. Kleinmann hatte die Aufzeichnungen bewusst schwer verständlich gemacht, um Freunde, Familie und Mithäftlinge zu schützen. Diese Erzählungen sind die Grundlage für Dronfields Buch „Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte“, das vor Kurzem erschienen ist.

Cover des Buchs "Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte"

Droemer Knaur

Buchhinweis

Jeremy Dronfield: Der Junge, der seinem Vater nach Auschwitz folgte. Droemer HC, 464 Seiten, 16,99 Euro.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Buch widmete sich auch ein Beitrag in Kontext, 24.1., 9.05 Uhr.

1938 hatte sich das Leben der Familie Kleinmann dramatisch verändert: Mit dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland war das Leben in Wien, in der Leopoldstadt, plötzlich bedrohlich geworden. Was damals passierte, hat Dronfield akribisch recherchiert, auch in Gesprächen mit dem Enkel Peter Kleinmann. Die Nachbarn, die bis dahin Freunde waren, seien plötzlich zu Todfeinden geworden, die die Familie beschimpften und schließlich verrieten.

Sechs Jahre Kampf mit dem Tod

Schon zuvor hatte sich der Alltag dramatisch verändert: Peter Kleinmann erinnert sich an Erzählungen seines Vaters Fritz. Der wurde aus der Schule herausgeprügelt, durfte weder ins Theater gehen noch im Park spielen oder in Geschäften einkaufen.

Mit Diskriminierungen und Gewalt im Alltag fing es an. Im Herbst 1939 schließlich deportierten die Nationalsozialisten Gustav und Sohn Fritz Kleinmann in das Konzentrationslager Buchenwald, gemeinsam mit tausend anderen. Es war der Beginn eines fast sechs Jahre andauernden Überlebenskampfes der beiden.

„Freiwillig“ nach Auschwitz

Dronfield schildert die Tortur, die mit der Ankunft in Buchenwald begann, eindrücklich. Mehr als einmal entkamen die beiden Männer nur knapp dem Tod. Gleich nach ihrer Ankunft wurde Fritz beispielsweise ausgepeitscht - eine „Vergeltungsmaßnahme“, weil im November 1939 ein Attentat auf Adolf Hitler verübt wurde. Gustav und Fritz mussten einer gefährlichen Arbeit nachgehen, in einem Steinbruch, ohne entsprechende Ausrüstung oder Schutzvorkehrungen. Sie bekamen wenig zu essen, wurden bedroht, geschlagen und gefoltert.

1942 ereignete sich in Buchenwald jener Vorfall, der „Dem Jungen, der seinem Vater nach Auschwitz folgte“ den Titel gab: Gustav sollte als einer von 400 Männern in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau gebracht werden. Sein Sohn Fritz meldete sich freiwillig mitzugehen, obwohl beide das als Todesurteil betrachteten. „Fritz’ Freunde im Lager wollten ihn davon überzeugen, nicht mitzugehen, er solle seinen Vater vergessen“, erzählt Dronfield. Doch der ließ sich nicht davon abbringen.

Zwangsarbeit für den Krieg

Gustav und Fritz kamen in das Nebenlager Monowitz, wo sie für die Errichtung der Buna-Werke zuständig waren, ein riesiger Fabrikkomplex des deutschen Chemiekonzerns IG Farben. Die Fabrik sollte Kraftstoffe, Gummi und andere chemische Produkte für die deutschen Kriegsanstrengungen bereitstellen. Ihre Arbeitskraft schützte die beiden Männer in Auschwitz. Mehr als zwei Jahre konnten sie den Horror des Lagers überleben.

Fritz und Gustav Kleinmann wiedervereint, Wien 1945

Droemer Knaur

Als sich die Rote Armee Auschwitz im Jänner 1945 näherte, wurden Tausende Insassen auf einen Todesmarsch geschickt und mit Zügen in andere Konzentrationslager gebracht. Gustav und Fritz sollten nach Mauthausen kommen. Hier, kurz vor dem Fall der NS-Diktatur, endete der gemeinsame Weg der beiden. Sie trennten sich für kurze Zeit und fanden schließlich in Wien wieder zusammen.

Einzige Überlebenschance war Arbeit

Nach Ende der Nazi-Zeit erzählten Gustav und Fritz Kleinmann nicht viel über ihre schrecklichen Erlebnisse in Auschwitz, sagt Enkel Peter Kleinmann. Doch wenn er seinem Vater oder seinem Großvater Fragen stellte, antworteten sie. „Zum Beispiel habe ich ihnen die Frage gestellt, wie sie sechs Jahre lang in Auschwitz, in Buchenwald, in Mauthausen überleben konnten, den schlimmsten Konzentrationslagern der Nationalsozialisten“, so Kleinmann.

Sein Vater Fritz habe ihm geantwortet, dass sie sich eine Strategie zurechtgelegt hatten. Solange sie arbeiten konnten, hatten sie eine kleine Chance zu überleben. „Wenn ein Maurer gesucht wurde, zeigten sie auf, wenn ein Glaserer gesucht wurde, zeigten sie ebenfalls auf“, so Kleinmann. Wenn ihm jemand zuflüsterte, er sei gar kein Glaserer, antwortete er laut seinem Enkel: „Na dann werde ich halt einer sein müssen.“

Geschichte begann vor KZs

Peter Kleinmann, der den Volleyballsport in Österreich seit Jahrzehnten prägt, Mitglied des Vorstandes des Österreichischen Olympischen Comites war und Träger des goldenen Ehrenzeichens der Republik Österreich ist, kannte das Tagebuch seines Großvaters schon als junger Mann. Er wusste um den Überlebenskampf von Fritz und Gustav und die Ermordung seiner Großmutter und Tante. Doch erst das Buch offenbarte ihm alle schrecklichen Zusammenhänge.

„Es gibt auch in der heutigen Zeit wieder Dinge, die den Geschehnissen zu Beginn des Faschismus stark ähneln“, so Kleinmann. Denn die Geschichte habe nicht mit Konzentrationslagern angefangen, sondern mit trivialen Anfeindungen und kleinen Gewaltakten. „Wir müssen aufpassen, dass so etwas nicht mehr passiert, und dazu trägt dieses Buch mit Sicherheit bei“, sagt Peter Kleinmann.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft

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