Solidarität auf Facebook

Gleich und gleich gesellt sich gern – das scheint für Facebook besonders zu gelten: Man befreundet sich nur mit jenen, die so denken wie man selbst, und bekommt auch nur Posts, die zur eigenen Meinung passen. Eine empirische Studie zeigt nun: So klar ist das nicht.

Solidarität ist ein umkämpfter Begriff. Aus der Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommend, forderten Mann und Frau damit soziale Gerechtigkeit. Auch die Frauenbewegung hat den Begriff verwendet, um gemeinsam für ihre Ziele – gleiche Rechte und Pflichten für alle – zu kämpfen. Heute wird der Begriff für „linke“ wie für „rechte“ Inhalte interpretiert, erklärt Saskja Schindler, eine der Projektleiterinnen von der Universität Wien. „Viktor Orban hat beispielsweise im Rahmen der Flüchtlingskrise gemeint, es sei wahre europäische Solidarität, die Grenzen zu schließen und es wäre unsolidarisch, sie zu öffnen.“

Die Kontroverse über den Begriff „Solidarität“ haben Schindler und ihre Kollegin Veronika Wöhrer nun genutzt, um zu untersuchen, wie homogen oder heterogen Freundeskreise auf Facebook sind - und welche Vorstellungen von Solidarität es unter Facebook-Freunden gibt. „Man denkt bei Facebook an Filterblasen. Leute bekommen nur mehr ihre eigenen Meinungen präsentiert und kapseln sich damit von einem demokratischen Diskurs ab. Dadurch werden Meinungen extremer, es entsteht eine Polarisierung“, so Schindler.

Diskussionen unter Facebook-Freunden

Neun Facebook-Nutzer und -Nutzerinnen haben für das Projekt all ihre Facebook-Freunde in Gruppenchats eingeladen und mit ihnen eine Woche lang jeweils zwei politische Maßnahmen der Ex-Regierung von Türkis-Blau diskutiert. Einmal ging es um die Forderung des damaligen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ), wonach Asylwerber nur mehr 1,50 Euro pro Stunde für diverse Hilfstätigkeiten bekommen sollten und nicht mehr drei bis fünf Euro. Das zweite Thema war die „Mindestsicherung neu“. „Wir haben darauf geachtet, dass die Leute aus unterschiedlichen Bundesländern kommen und unterschiedliche Alter und politische Orientierungen haben“, erklärt Veronika Wöhrer. Manche der neun Teilnehmer und Teilnehmerinnen hatten einen religiösen Hintergrund, manche waren liberal, andere stammten aus dem „Dunstkreis der Grünen“ oder aus Jagdvereinigungen.

Homogene und heterogene Gruppen

Zwar gab es durchaus Gruppen, wo man sich sofort einig war, wem was zusteht und was gerecht ist. In anderen Gruppen wiederum herrschten sehr unterschiedliche Ansichten, wo man die Grenze der Solidarität zieht. „Bei der Reform der Mindestsicherung wurde etwa darüber diskutiert, ob das Bedarfsprinzip oder das Leistungsprinzip entscheidend ist“, so Schindler. Bei der Debatte um die 1,50 Euro ging es darum, ob man die Leistung mit einem Job oder eher mit einem Zivildienst vergleicht. Manche vertraten die Meinung, es sollte kein Asylwerber etwas bekommen, so lange es Österreicherinnen und Österreicher gibt, die keine Wohnung und keine Arbeit haben.

„Darauf reagierten andere wiederum mit einer Abwertung von sozial schwachen Gruppen in Österreich, wonach nur diejenigen einen Anspruch auf Sozialleistungen haben sollten, die etwas leisten“, so Schindler. Es wurde geliked, umfassend mit Fakten und Quellenverweisen argumentiert und teilweise auch eingelenkt – wenngleich nur selten", ergänzt Wöhrer. „Es gab nach der einen Woche nie einen Punkt, wo sich alle plötzlich auf eine Sichtweise geeinigt hätten.“

Links, rechts, weder noch

Zusammengefasst waren in den heterogenen Gruppen altruistische Solidaritätsbegriffe, wonach jedem in Not geholfen werden muss, um ein würdiges Leben führen zu können, genauso vertreten, wie ein Solidaritätsbegriff, der die Grenze bei den „Fleißigen“ zieht und die Verantwortung, ob man dazu gehört oder nicht, nur am Willen des Einzelnen festmacht. Manche ließen sich wiederum weder dem einen noch dem anderen Solidaritätsverständnis zuordnen. „Unser Sample ist natürlich zu klein, um Aussagen über ganz Facebook machen zu können. Aber wir sehen, dass man sich nicht immer einfach wechselseitig zustimmt, sondern dass die Sache komplexer ist“, so Schindler.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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