„Computer sind nicht intelligent“

Das menschliche Hirn gilt als die große Leistung der Evolution - es zu verstehen als Mammutaufgabe der Wissenschaft. Dass Computer das möglich machen, hält der Hirnforscher Wolf Singer für unwahrscheinlich: Von echter Intelligenz sind Maschinen weit entfernt.

In der Science Fiction existieren Künstliche Intelligenz und Supercomputer schon seit Langem: Stanislav Lems „Golem“ oder Stanley Kubricks „Hal 9000“ denken wesentlich schneller und effizienter als menschliche Gehirne und handeln selten im Sinn ihrer Erbauer. In der Realität sei man von Computern, die das menschliche Gehirn übertreffen oder auch nur simulieren könnten, allerdings noch weit entfernt, sagt der Neurophysiologe Wolf Singer.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Dimensionen-Magazin, am 13.2., um 19.05 Uhr.

Affenhirn statt Software

Der 76-jährige forscht am deutschen Max-Planck-Institut für Hirnforschung und am Ernst-Strüngmann-Institut für Neurowissenschaften zu Entwicklungsstörungen des Gehirns und wie die wiederum zu psychischen Symptomen führen. Dazu müsse man Gehirne studieren, nicht ein Computerprogramm, sagt Singer gegenüber science.ORF.at. Wie einzelne Gehirnregionen zusammenarbeiten, wie sie verschaltet sind und wie das das menschliche Verhalten beeinflusst, könne man nur an Gehirnen von Menschen und den nah verwandten Menschenaffen studieren.

Eine Haltung, die Singer im Lauf der Jahre auch Kritik einbrachte. Denn mit dieser Art der Hirnforschung sind Tierversuche und ethische Probleme verbunden. Die umgeht der Forschungsansatz des Instituts für Molekulare Biotechnologie, IMBA, den Singer ebenfalls vielversprechend findet. Hier in Wien arbeitet man mit Organoiden, also Zellkulturen, die den frühen Entwicklungsstadien des menschlichen Gehirns gleichen und die Aufschluss über Entwicklungsstörungen geben können.

Kunsthirn als Alternative

Bei den Organoiden handelt es sich um Zellkulturen in Petrischalen, knapp 5 Millimeter groß, die keine kognitiven Fähigkeiten haben. Anhand der Zellstrukturen können Jürgen Knoblich und sein Team am IMBA die Entwicklung des Gehirns bzw. Entwicklungsstörungen untersuchen. „Die Forschung an Organoiden kann dazu beitragen, einige Tierversuche zu vermeiden und andere gezielter zu planen“, so Knoblich.

der Hirnforscher Wolf Singer

Sandra Schartel

Wolf Singer war Gast einer Veranstaltung am IMBA.

Ein dritter Ansatz der Hirnforschung dreht sich aktuell um die Simulation der neuronalen Strukturen mit Hilfe eines Computers. Das Human Brain Project, ein Forschungsflaggschiff der Europäischen Union, das mehr als eine Milliarde Euro kosten soll, versucht genau das: ein Kunsthirn zu erschaffen, das Schaltungen und Fehlschaltungen simulieren kann.

Singer hält es für sehr unwahrscheinlich, dieses Ziel zu erreichen. Auch wenn Computer den Menschen beim Schach- oder Go-Spielen schlagen, auch wenn es große Fortschritte bei der Spracherkennung und dem maschinellen Lernen gibt, spricht der Hirnforscher den Systemen wahre Intelligenz ab, weil sie weder kreativ sind, noch in der Lage zu generalisieren. „Computerprogramme wissen immer nur das, was sie wirklich gesehen haben“, betont Singer.

Zu komplex für eine Maschine

„Anfänglich war der Traum, man könne das Rätsel der Großhirnrinde dadurch lösen, ein möglichst naturgetreues Simulat dieser Struktur zu programmieren“, so der Hirnforscher. Doch das sei nur in sehr begrenztem Umfang möglich, weil die Komplexität abenteuerlich groß ist.

Beim Computer folge die Befehlskette einer strikt hierarchischen Struktur – die Informationen würden immer entlang einer bestimmten Abfolge bearbeitet und weitergeleitet. Im Gehirn finde man dagegen Verbindungen von oben nach unten und innerhalb der Schichten. So entstehe ein unglaublich dichtes Geflecht von reziproken Verbindungen. „Und dadurch entsteht eine Dynamik, die unfassbar komplex ist“, meint Singer.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft

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