Doch nicht einzigartig

Die beiden Gehirnhälften des Menschen sind unterschiedlich gebaut. Ein Alleinstellungsmerkmal unserer Art, dachte man bisher – stimmt aber nicht: Auch die Gehirne von Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans sind asymmetrisch.

Im Durchschnitt ragen bei Menschen der linke Hinterhaupt-, und der rechte Vorderhauptlappen im Vergleich mit seinem jeweiligen Gegenüber ein Stück weit hervor. Ebenso verhält es sich mit dem rechten unteren Teil des Schläfenlappens und dem rechten Kleinhirnlappen.

Dieses Muster ist weit verbreitet, dürfte zu einem gewissen Grad genetisch begründet sein und damit zusammenhängen, dass für gewisse Gehirnfunktionen - wie etwa das Sprechen - vornehmlich bestimmte Regionen zuständig sind. Trotzdem gibt es auch deutliche individuelle Abweichungen von der sogenannten „Yakovlev’schen Verdrehung“. Das zeigt wiederum wie flexibel sich das menschliche Zentralnervensystem entwickeln kann.

Gehirnabdrücke untersucht

Das Auftreten vieler markanter Asymmetrien wurde in der bisherigen Lehrmeinung meist zeitlich erst nach der Trennung der Abstammungslinien des Menschen von unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, verortet. Das zu überprüfen war bisher nicht einfach, da in der Regel nur sehr wenige Gehirne von Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans für Untersuchungen zur Verfügung stehen.

Vergleich: Menschen- und Affengehirne

Simon Neubauer, CC BY-NC-ND 4.0

Die Gehirne von Mensch und Menschenaffen unterscheiden sich - doch die Asymmetrien (unten) sind sehr ähnlich

Ein internationales Forscherteam, darunter der Evolutionsbiologe Philipp Mitteröcker von der Uni Wien, hat diese Wissenslücke nun gefüllt – und zwar mit Hilfe von Gehirnabdrücken an der Innenseite des Schädels („Endocasts“). Da es vor allem während des Wachstums enge Wechselwirkungen zwischen Gehirn und Schädelknochen gibt, lassen sich an der Schädelinnenwand die Dimensionen des einstigen Gehirns gut ablesen, schreiben die Forscher im Fachblatt „Science Advances“.

Asymmetrie älter als gedacht

Die statistischen Analysen der Abdrücke zeigten, dass Menschen punkto Gehirnasymmetrie keineswegs einzigartig sind. Bis auf Schimpansen, bei den die Unterschiede weniger stark ausgeprägt waren, ergab sich ein sehr einheitliches Muster. Die bisher vielfach als typisch menschlich angesehenen Asymmetrien sind somit weiter verbreitet - und müssen daher entwicklungsgeschichtlich auch früher entstanden sein als ursprünglich angenommen. Das heiße wiederum, dass die Unterschiede nicht direkt auf die Spezialisierung der Hemisphären etwa auf Sprache oder Rechts- oder Linkshändigkeit zurückgeführt werden können, so die Forscher.

„Was uns noch mehr überrascht hat, war, dass die Menschen in dieser Asymmetrie am wenigsten konsistent waren, mit viel individueller Variation“, so Mitteröcker. Das könne als Hinweis gewertet werden, dass sich das menschliche Gehirn im Laufe seiner Entwicklung stärker spezialisieren kann. Die unerwarteten Gemeinsamkeiten zwischen Affen und Mensch zeigen indes, dass asymmetrische Gehirne bei ausgestorbenen Menschenarten nicht automatisch als Anzeichen für bereits entwickelte Sprache oder Rechtshändigkeit angesehen werden sollten. Für so eine Deutung brauche es wohl zusätzliche archäologische Hinweise, so die Forscher.

science.ORF.at/APA

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