Blick auf die Shanidar Höhle
Graeme Barker.
Graeme Barker.
Bestattung

So begruben die Neandertaler ihre Toten

Das Image vom plumpen, etwas dümmlichen Neandertaler bröckelt seit einiger Zeit. Funde im „Blumengrab von Shanhidar“, einer Ausgrabungsstätte im Irak, liefern neue Belege. Die Urmenschen bestatteten dort Tote.

Die Höhle von Shanidar liegt in der autonomen Provinz Kurdistan, etwa 400 Kilometer nördlich der irakischen Hauptstadt Bagdad. In den 1950er Jahren entdeckten Ralph Solecki und sein Team dort die Überreste von zehn Neandertalern – von Männern, Frauen und Kindern. Der US-Archäologe war schon damals überzeugt, dass zumindest einige der Urmenschen vor ungefähr 50.000 Jahren gezielt begraben worden und nicht erst – z. B. durch Steinschlag – in der Höhle zu Tode gekommen waren.

Ralph Soleckis Ausgrabungsteam in den 1950er Jahren
Ralph Solecki
Ralph Soleckis Ausgrabungsteam in den 1950er Jahren

Bekannt wurde die Ausgrabungsstätte auch als „Blumengrab von Shanidar“ – in der Nähe der Toten gefundene Pollenüberreste von Schafgarbe, Kornblumen und anderen Pflanzen könnten nämlich von Blüten stammen, die bei der Bestattung gezielt hinterlassen worden waren. Soleckis These von den ersten „Blumenkindern“ blieb zwar umstritten. Denn die Samen könnten genauso gut durch Tiere oder Überschwemmungen ins Erdreich gelangt sein.

Die Funde lieferten aber einen wesentlichen Anstoß, das Image des Neandertalers – als nicht sehr hellen, mehr tierischen als menschlichen Zeitgenossen des modernen Menschen – neu zu überdenken. Analysen der Überreste von Shanidar haben unter anderem ergeben, dass sich der vermeintliche „Rohling“ um beeinträchtigte und verletzte Angehörige kümmerte. Seit den damaligen Ausgrabungen wurde zunehmend klarer, dass der Neandertaler uns ähnlicher ist als lange angenommen. Auch mehrten sich die Hinweise, dass er Verstorbene tatsächlich rituell begraben haben muss, das zeigen z. B. Belege aus Frankreich.

Überraschender Fund

Zur genaueren Untersuchung hatte Solecki einen Teil der in Shanidar gefundenen Individuen ins Museum nach Bagdad transferieren lassen; am Fundort selbst wurde erst mehr als 50 Jahre später erneut gegraben. 2011 hatte die kurdische Regionalregierung ein neues Projekt initiiert, das aufgrund der politischen Unruhen dann erst 2015 starten konnte. Ziel waren neue Analysen der Höhle und die exaktere Datierung der alten Ausgrabungen.

Völlig überraschend stießen die Forscherinnen und Forscher um Emma Pomeroy von der britischen University of Cambridge 2015 und 2016 einige Meter unter dem Höhlenboden auf weitere Knochen, unter anderem ein Bein. Sie stammen von einem 40- bis 50-jährigen Mann. „Mit etwas Glück werden wir die exakte Ausgrabungsstätte von damals wiederfinden, dachten wir. Wir hatten nicht erwartet, Knochen zu finden“, erklärt Koautor Graeme Barker in einer Aussendung zu der nun in der Fachzeitschrift „Antiquity“ erschienenen Studie.

Die 2018 in der Shanidar Höhle gefundenen Überreste eines Schädels
Graeme Barke
Die 2018 in der Shanidar Höhle gefundenen Überreste eines Schädels

2017 wurde das Team etwas tiefer noch einmal fündig und entdeckte unter anderem Rippen, Lendenwirbel und Teile einer Hand. 2018 wurden dann noch ein Torso und die zerbröselten Reste eines Kopfes freigelegt. Die linke Hand lag wie ein Polster unter der Wange, dahinter ein dreieckiger Stein. Der oder die mittelalte bis alte Erwachsene ist ersten Analysen zufolge 70.000 Jahre alt. Das Geschlecht ließ sich noch nicht bestimmen.

Spezielle Position

Laut den Forscherinnen und Forschern war das Individuum „Shanidar Z“ vermutlich auf den Rücken gelegt worden, Schultern und Kopf angehoben durch den Stein, der Kopf zur linken Seite geneigt und abgelegt auf der Hand. Diese Körperhaltung unterscheidet sich von den Funden aus den 1950ern. Deren Position ähnelte der eines Fötus.

Bestattungsposition des oder der Verstorbenen
Emma Pomeroy

Die spezielle Ausrichtung des Leichnams sei jedenfalls eines von vielen neuen Indizien, dass es sich um eine Bestattung mit Absicht gehandelt habe, schreiben die Autorinnen und Autoren. Außerdem hätten sich die körperlichen Überreste in einer Art natürlichem Kanal im Boden der Höhle befunden, den die Neandertaler anscheinend noch zusätzlich vertieft hatten.

Steinschlag als Todesursache hält das Team für recht unwahrscheinlich, da die Funde aus einer klimatisch sehr milden Periode stammen, in der sich die Urmenschen vermutlich nicht dauerhaft tief im Berg aufhielten. Es sei anzunehmen, dass derselbe Ort immer wieder für Begräbnisse genutzt wurde.

Offen bleibt vorerst, ob pflanzliche Überreste rein zufällig in der Höhle gelandet sind oder tatsächlich eine wichtige Rolle bei den Bestattungsritualen gespielt haben. Weitere Laboranalysen der neuen Ausgrabungen sollen nun noch mehr Klarheit zu Leben und Sterben der Neandertaler bringen und so das Bild des Urmenschen noch genauer machen.