Volksschülerin schreibt ABC auf eine Tafel
APA/dpa/Daniel Reinhardt
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Sprachvielfalt

Mehrsprachigkeit in der Schule nützen

Mehrsprachigkeit ist in Österreichs Schulen Alltag – in den Lehrplänen findet das aber wenig Berücksichtigung, wie aktuelle Studien zeigen. Konzepte seien vorhanden, würden aber nicht genützt, kritisieren Bildungswissenschaftler.

Der heutige „Internationale Tag der Muttersprache“ der UNESCO feiert sprachliche Vielfalt und die gibt es in Österreich: Neben Deutsch werden hier 250 weitere Sprachen im Alltag verwendet. Der Anteil der mehrsprachigen Schülerinnen und Schüler ist in Österreich hoch: 2018 lag er in allgemeinbildenden Pflichtschulen bei mehr als 30 Prozent. Dass es sich auszahlt, diese Kinder in ihrer Erstsprache zu fördern, wisse man in den Bildungswissenschaften schon lange, erklärte Alexandra Wojnesitz vom Institut für Romanistik der Universität Wien diese Woche bei einem Hintergrundgespräch von „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“.

Mehrsprachigkeit als Ressource

Wojnesits vergleicht den Spracherwerb mit dem Bau eines Hauses. „Wenn das Fundament, die Erstsprache, nicht gut ausgebildet und stabil ist, dann wird es schwierig, darauf aufzubauen“, so die Sprachwissenschaftlerin. Ein zweite, dritte oder vierte Sprache zu erwerben, werde dann zu einer wesentlich größeren Herausforderung. Deswegen sei es wichtig, Kinder auch in der Schule in ihrer Erstsprache zu fördern und entsprechenden Unterricht anzubieten.

ABD0018_20170522 – WIEN – …STERREICH: THEMENBILD – Eine Volksschullehrerin unterrichtet am Dienstag 16. Mai 2017 in Wien in einer Offenen Volksschule (OVS) SchŸlerinnen und SchŸler einer Integrationsklasse. – FOTO: APA/HARALD SCHNEIDER
APA/Harald Schneider
In Österreichs Schulen werden viele Sprachen gesprochen

Darüberhinaus sollte die Mehrsprachigkeit auch im Unterricht als Ressource genützt werden, ist Wojnesits überzeugt. Ein entsprechender Lehrplan wurde bereits erarbeitet. Das österreichische „Curriculum Mehrsprachigkeit“ sei als Leitfaden in Südtirol und der Schweiz im Einsatz, meint Wojnesits, hierzulande allerdings nicht.

Probleme im Schulalltag

Hier wurde 2018 das System der Deutschförderklassen eingeführt – Kinder mit einer anderen Erstsprache und sprachlichen Problemen im Deutschen werden dort 15 bis 20 Stunden separat unterrichtet. Erste kleine Studien dazu haben einige Kritikpunkte offenbart, sagt Hannes Schweiger vom Institut für Germanistik der Universität Wien.

In diesen Studien wurden Schulleitungen und Lehrkräfte befragt, die teilweise von Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Deutschförderklassen im Alltag berichteten, erläutert Schweiger. Mitunter fehle es an Räumlichkeiten, die Kinder würden immer wieder für die Teilnahme am Sonderunterricht gehänselt und die Gruppen seien oft zu groß. In Wien finde man bis zu 26 Kinder in solchen Deutschförderklassen, so der Sprachwissenschaftler. Ideal wären Gruppengrößen von zehn bis zwölf.

Jugendliche unterstützen sich gegenseitig

Unter solchen Umständen könne die Mehrsprachigkeit der Kinder im Unterricht nicht berücksichtigt werden, meint Schweiger. Genau dafür gibt es erfolgreiche Pilotprojekte, etwa von der Universität Duisburg, wo die Fächer Physik, Deutsch und Türkisch verschränkt wurden. Die Kinder profitierten davon, die Anleitung für ein physikalisches Experiment im Deutsch- und im Türkischunterricht vorzubereiten. „Sie können nämlich das, was sie in der einen Sprache gelernt haben, auf die eigene Sprache und auf das fachliche Lernen übertragen“, sagt Schweiger.

Türschild „Deutschförderklasse“
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Seit 2018 gibt es in Österreich eigene Deutschförderklassen

Eine weitere Studie des Instituts für Soziologie kommt zu ähnlichen Schlüssen. „Wege in die Zukunft“ begleitet Schülerinnen und Schüler der Neuen Mittelschule in Wien seit 2017. Die meisten der mehr als 3.000 befragten Jugendlichen sprechen zwei bis drei Sprachen. Erste Ergebnisse der qualitativen und quantitieren Befragung zeigten, dass die Kinder oft vom gemeinsamen Unterricht profitieren, sagt Veronika Wöhrer, die an der Studie beteiligt ist.

Bildungserfolg spricht gegen Trennung

„Gerade Jugendliche, die sehr erfolgreich auf ihrem Bildungsweg sind, erzählen von Mitschülern und Mitschülerinnen, denen sie viel verdanken, weil die ihnen am Anfang beim Deutschlernen geholfen haben“, so Wöhrer. Die Kinder und Jugendlichen hätten füreinander übersetzt und sie dabei unterstützt, sich im Schulalltag zurechtzufinden. Separate Deutschförderklassen hat es zu Beginn der Studie, im Jahr 2017 noch nicht gegeben, die wurden erst 2018 eingeführt.

Die vorläufigen Studienergebnisse sprechen gegen eine Trennung der Kinder und damit gegen separate Deutschförderklassen, so Wöhrer. Bildungsminister Heinz Faßmann von der ÖVP hält aber an dem Konzept fest. Eine endgültige Evaluierung der Deutschförderklassen gebe es noch nicht, aber das aktuelle Regierungsprogramm stellt den Schulen bei der Ausgestaltung der Deutschförderklassen mehr Flexibilität in Aussicht, etwa bei der Gruppengröße oder der Gruppenzusammensetzung. Laut Experten sei dieses Vorhaben allerdings noch nicht in der Praxis angekommen.