Antisemitisches Wahlplakat der Nationalratswahl 1920
Vor 100 Jahren

Große Koalition der Antisemiten

Postenschacher, umstrittene Gerichtsurteile und Kampf gegen Juden und Linke: Dafür waren die Mitglieder der „Deutschen Gemeinschaft“ (DG) verantwortlich, ein von der Forschung bisher eher vernachlässigter Geheimbund, der Österreich in den 1920er Jahren unterwanderte.

Ihm gehen die drei Historiker Linda Erker, Andreas Huber und Klaus Taschwer in dem neuen Buch „Der Deutsche Klub“ nach – der titelgebende Verein hatte ähnliche Ziele wie die DG, und auch viele personelle Überschneidungen. Während der „Klub“ aber vornehmlich aus Deutschnationalen bestand, war die „Gemeinschaft“ eine Art große antisemitische Koalition von Christlichsozialen und Deutschnationalen.

Schutz der „eigenen Leute“

Historisch war das nicht selbstverständlich. Um 1900 hatte Georg Schönerer, der Führer der Deutschnationalen, noch die Parole „Los-von-Rom“ ausgegeben, seine Anhänger also aufgefordert, die Konfession zu wechseln – weg von der katholischen. An den Hochschulen kämpften katholische Studentenverbindungen mit deutschnationalen Burschenschaften, zum Teil auch blutig. Nach Zusammenbruch des Habsburgerreichs und verlorenem Weltkrieg rückten die beiden Lager aber durch die gemeinsamen Feindbilder zusammen.

Cover des Buchs „Der Deutsche Club“
Czernin-Verlag

Das Buch

Der Deutsche Klub. Austro-Nazis in der Hofburg: Andreas Huber, Linda Erker, Klaus Taschwer, Czernin Verlag 2020

Antimarxismus und Antisemitismus waren dann auch das Bindemittel für die „Deutsche Gemeinschaft“, die am 6. Juni 1919 als Verein in Wien gegründet wurde. Das offizielle Ziel des zum Höhepunkt rund 600 Mitglieder zählenden Vereins lautete: „Hebung der wirtschaftlichen Kraft des deutschen Volkes in Deutschösterreich, dessen Erziehung zu intensiverer Arbeitsleistung, größerer Sparsamkeit und Bildung.“ Aber das war nur vorgetäuscht, sagt der Historiker und Buchautor Andreas Huber: „Eigentliches Ziel war der Ausschluss von Juden, Freimaurern, Sozialisten und von anderen Linken und Liberalen von allen Führungspositionen – sowie die Protektion der ‚eigenen Leute‘.“

Wirkungsvoller Postenschacher

Das Judentum sei eine „geheime Gesellschaft zur Förderung ihrer eigenen Belange“, hieß es in einer anonym veröffentlichten DG-Kampfschrift, und der wolle man etwas entgegensetzen. Da man dieses Ziel nicht offen verfolgen konnte, unterhielt die DG einen Geheimbund, der „die Burg“ hieß. Diese „Burg“ ähnelte strukturell den von ihr verhassten Freimaurern und organisierte sich in logenartigen Gruppen mit einer Doppelspitze: jeweils einem Vertreter des katholischen und einem des nationalen Flügels. Gemeinsam hievte man Personen aus dem Umfeld der „Burg“ auf einflussreiche Positionen – und ging dabei wenig zimperlich vor. „Rufmord war eine beliebte Strategie, selbst vor indirekten Morddrohungen schreckte man nicht zurück“, sagt Andreas Huber.

Ein Beispiel betrifft Stephan Brassloff: Der Rechtshistoriker stand als Ordinarius für Römisches Recht an der Universität Wien zur Debatte, eine koordinierte Diffamierungskampagne zerstörte aber seine Karriere – 18 Jahre später starb er im Ghetto Theresienstadt der Nationalsozialisten. Noch häufiger als jüdische, linke oder liberale Karrieren zu verhindern, gelang es der „Burg“, jene der „eigenen Leute“ zu fördern. Bei Bewerbungen im öffentlichen Dienst etwa verwendeten deutschnationale und katholische Kandidaten Visitenkarten, die mit Geheimzeichen versehen waren, und kamen so zu ihren Jobs.

Umstrittene Freisprüche

Die „Deutsche Gemeinschaft“ wirkte aber nicht nur durch Postenschacher. Viele ihrer Mitglieder waren auch Richter und Staatsanwälte und beeinflussten den Verlauf brisanter Rechtsfälle in der Ersten Republik – etwa den Freispruch von Otto Rothstock, der im März 1925 den Publizisten Hugo Bettauer niedergeschossen hatte. Bettauer erlag seinen Verletzungen, Rothstock wurde vom Mordverdacht freigesprochen und kam in eine psychiatrische Klinik, die er bald wieder verlassen durfte.

Brand des Justizpalastes am 15. Juli 1927
ÖNB
Nach dem Urteil im Schattendorfer Prozess: Justizpalastbrand am 15. Juli 1927

Franz Bucek, der Staatsanwalt des Prozesses, war ebenso Mitglied des „Deutschen Klubs“ wie der Rothstock-Verteidiger Walter Riehl. Der Richter des Prozesses, Ernst Ramsauer, war wiederum Mitglied der „Deutschen Gemeinschaft“. Zwei Jahre später verteidigte Riehl jene Frontkämpfer, die am 30. Jänner 1927 in Schattendorf zwei Menschen getötet und fünf verletzt hatten. Auch dieser Prozess endete mit einem skandalösen Freispruch, der Vorsitzende war ein Mitglied des „Deutschen Klubs“.

Früher Antisemitismus von Dollfuß

Personell überschnitten sich Klub und Gemeinschaft stark, letztere beherbergte aber als „Große Koalition der Antisemiten“ zu gleichen Teilen Katholiken und Deutschnationale. Zu den prominentesten Mitgliedern zählten der Wiener Erzbischof Friedrich Piffl, der Historiker Oswald Menghin, der Rechtsanwalt Arthur Seyß-Inquart sowie der Jurist Franz Dinghofer – und auch Engelbert Dollfuß arbeitete jahrelang im Büro der „Deutschen Gemeinschaft“. Der spätere Bundeskanzler schlug schon 1920 einen „Arierparagraphen“ für den Cartellverband vor. „Dass Dollfuß’ früher Antisemitismus unmittelbar von der Deutschen Gemeinschaft geprägt war, ist wahrscheinlich“, sagt der Historiker Andreas Huber.

Austrofaschismus: Engelbert Dollfuß im April 1934 bei einer Ehrung der katholischen Verbindung Danubia mit dem Verteidigungsminister Alois Schönburg-Hartenstein
AP
Austrofaschismus: Engelbert Dollfuß im April 1934 bei einer Ehrung der katholischen Verbindung Danubia mit dem Verteidigungsminister Alois Schönburg-Hartenstein

In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre verlor die DG ihre Bedeutung. Die politische Situation hatte sich geändert, Christlichsoziale und Deutschnationale koalierten seit Jahren offiziell, es kam auch zu Streitigkeiten bei der Verteilung von Jobs. Dazu wurde die NSDAP immer stärker, das beflügelte die Nationalen der „Gemeinschaft“ und trug zu ihrer Auflösung im März 1930 bei. In einem Abschlussbrief wurden die Mitglieder aufgefordert, auch in Zukunft „unseren Grundsätzen gemäß zu wirken“.

Nachwirkendes Männerkartell

Zumindest an den Hochschulen war dies sogar bis nach 1945 der Fall, heißt es in dem neuen Buch. Statt eines Neuanfangs wurden etwa an der Universität Wien etliche Führungspositionen mit ehemaligen Mitgliedern und Sympathisanten des Geheimbundes bestellt. Die NS-belasteten Hochschullehrer konnten auf die Hilfe der ehemaligen DG-Mitglieder zählen und auch darauf bauen, dass sich diese nicht für eine Rückholung ins Exil getriebener – jüdischer und linker – Wissenschaftler einsetzten.

„Die Deutsche Gemeinschaft hat intransparente und durch Interventionen bestimmte Postenvergaben zur Perfektion gebracht“, so das Fazit des Historikers Andreas Huber. „Das wirkte in der Zweiten Republik ebenso lange nach wie der Ausschluss von Frauen von Spitzenpositionen, der mit dieser Art von Männerkartell einherging und in Österreich noch längere Zeit konserviert wurde."