Frau spielt auf der Querflöte
©igeltier – stock.adobe.com
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Soziologie

„MeToo“ in der klassischen Musik

Die „#MeToo“-Bewegung hat nicht nur die Filmbranche erschüttert, sie hat auch für einige Skandale in der klassischen Musik gesorgt. Startenor Placido Domingo ist der aktuellste. Im Rahmen einer Konferenz in Wien beschreibt eine britische Soziologin, warum Debattieren alleine nicht reicht.

Sexuelle Übergriffe in der klassischen Musikbranche sind kein Einzelfall. Laut einem Bericht der „Incorporated Society of Musicians“ (Anm.: der britische Berufsverband für Musiker) aus dem Jahr 2017 beispielsweise wurden 60 Prozent der befragten britischen Musikerinnen und Musiker schon einmal sexuell belästigt. Davon mehr als 80 Prozent Frauen.

Gesprochen hat man darüber lange Zeit nicht, wie auch die Soziologin Christina Scharff vom Kings College in London herausfand. Sie hat junge Künstlerinnen sowohl im Jahr 2012, 2013 – also vor der „#MeToo“-Ära – und im Jahr 2019 interviewt. „Mir ging es grundsätzlich darum zu erforschen, wie es junge Musikerinnen am Anfang ihrer Karriere erleben, in diesem Bereich zu arbeiten, und wie sie darüber sprechen“, erläutert Scharff. Die insgesamt gut 80 Interviews sind nicht repräsentativ, geben aber einen Einblick in Missstände der Klassikwelt.

#MeToo: Strukturelles Problem

Bereits 2012 berichteten einzelne Musikerinnen über sexuelle Übergriffe, sagten aber auch, es werde nicht darüber gesprochen. Der Hashtag „MeToo“ hat zumindest das geändert, so Scharff. „2019 haben viele das Problem sehr deutlich angesprochen und von Fällen in Konservatorien sowie im professionellen Kontext berichtet. Eine Musikerin sagte auch, MeToo habe ihr sehr geholfen zu verstehen, dass sie nicht allein ist, sondern dass es vielen anderen Frauen auch so geht.“ Aus der Forschung wisse man, Hashtag-Aktivismus hat das Potenzial, „Individuen zu vermitteln, dass es sich oft um strukturelle Probleme handelt“, so die Soziologin.

Orchesterprobe: Musikerin spielt Cello
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Das strukturelle Problem ist in der klassischen Musikszene so deutlich wie in wenig anderen Bereichen. Das zeigt beispielsweise der Blick in die Orchester sowie auf die Dirigierpulte dieser Welt – der Großteil hier ist männlich. „Es geht dabei nicht nur um Ungleichheiten unter den Geschlechtern. Auch ethnische Minderheiten sind unterrepräsentiert, genauso wie Musikerinnen und Musiker aus sozial schwächeren Schichten.“ Auch für diese Ungleichheiten gebe es nun mehr Bewusstsein unter den Jungen. 2012 verneinten noch viele die systematische Benachteiligungen von Frauen in der Klassikbranche. Über andere Ungleichheiten wurde kaum gesprochen.

Angst: Reden schadet eigener Karriere

Die Gespräche mit den Jungmusikerinnen heute zeigen aber auch, dass sich nicht alle trauen, sexuelles Fehlverhalten zu melden, oder sie wissen nicht, an wen sie sich wenden können. Vor allem selbständige Musikerinnen, die nicht fix in einem Orchester oder Ensemble beschäftigt sind, sind mit diesem Problem allein. „Sie waren davon überzeugt, wenn sie das melden, schaden sie nur ihrer eigenen Karriere. Dann würden die Leute denken, mit ihnen könne man nicht gut arbeiten.“ Der Täter werde hingegen weiterhin in einer machtvollen Position bleiben und könne über ihre Karrieren bestimmen, so die Gedanken von einigen, die letztlich nichts sagen. „Man sieht also in dem MeToo-Kontext, es reicht nicht, etwas zum Bewusstsein zu bringen, man muss auch wirklich Strukturen schaffen, wo man was dagegen tun kann.“

Eine Quotenregelung, die den Anteil von Frauen sowie Menschen unterschiedlicher Herkunft in der Branche erhöht, wäre zwar als Zwischenlösung sinnvoll, argumentiert Scharff. „Einerseits, um Bewusstsein dafür zu schaffen und um die Debatte anzuregen, andererseits, um Dinge zu verändern.“ Eine 50:50 Mann-Frau-Quote allein sei aber nicht zielführend. Es stellt sich vielmehr die Frage, wo die Künstlerinnen beschäftigt sind – sind sie auch Stimmführerinnen und spielen sie auch Kontrabass, Trompete und Schlaginstrumente oder sind sie eher bei den Flötisten und Violinisten. "Ähnliches gilt für Fragen der Ethnizität. Auch hier gibt es verglichen mit anderen Instrumenten viele Streicherinnen und Streicher aus dem asiatischen Raum. Das muss man also im jeweiligen Kontext entscheiden und kann es nicht verallgemeinern. Das wäre nicht sehr progressiv.“