Ein Stundenei mit Mai-Soße hollandaise und süß-sauren Schalotten
Elke Ziegler, science.ORF.at
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Zeitreise

Mittelalter-Küche: Süß-saures Lebenselixier

Gesunde Ernährung hat die Menschen schon im Mittelalter beschäftigt. An der Universität Graz gibt es ein Mittelalterlabor, in dem alte Rezepte analysiert und in die Gegenwart übertragen werden. Das Ergebnis: „Weihnachten süß-sauer“.

Der Germanist Helmut Klug und der Molekularbiologe Fritz Treiber sind schon mitten in den Vorbereitungen am Geschmackslabor der Universität Graz. Heute gibt es Stunden-Ei mit Schalotten und Spinat auf Mai-Soße. „Die Soße ist nichts mehr als getrocknete Kräuter, Salz und Flüssigkeit. Die Flüssigkeit ist in der Regel Essig, Zitronensäure und Wasser“, beschreibt Helmut Klug das Rezept.

Die Mai-Soße ist ein typisch mittelalterliches Rezept. Ihre Zutaten werden über das Jahr gesammelt, getrocknet und dann mit saurer Flüssigkeit angerührt. Die Kombination aus geschmacksintensiv und sauer findet sich in vielen Kochanleitungen dieser Zeit: „Das ist Weihnachten mit saurem Unterton. Wir haben Importgewürze wie Ingwer, Zimt etc. und Säuerungsmittel, oft kommt noch eine süße Note hinzu, etwa durch Honig.“

Die Mittelalter-Köche Fritz Treiber und Helmut Klug. Rechts oben: Stundenei auf Mai-Soße mit süß-sauren Schalotten. Rechts unten: Die Schwallenberg-Soße aus Rotwein, Honig, Pfeffer, Knoblauch und Ingwer.
Elke Ziegler, science.ORF.at
Die Mittelalter-Köche Fritz Treiber (vorne) und Helmut Klug. Rechts oben: Stundenei auf Mai-Soße hollandaise mit süß-sauren Schalotten. Rechts unten: Die Schwallenberg-Soße aus Rotwein, Honig, Pfeffer, Knoblauch und Ingwer.

Zum Beispiel bei der Schwallenberg-Soße, für die Rotwein aufgekocht, mit Honig gesüßt und mit Ingwer, Pfeffer und Knoblauch kräftig gewürzt wird. Die Schwallenberg-Soße – der Namensgeber ist unbekannt, möglicherweise ein Herrscher oder der Erfinder der Soße – hatte auch einen medizinischen Zweck, wie am Ende des Rezepts vermerkt ist: „Diz sal man ezzen in kaldem wetere“ – „Man soll sie bei kaltem Wetter essen“, heißt es dort. Die Gewürze sollten einheizen und die Körpersäfte im Winter ins Gleichgewicht bringen. Dafür wurden die Soßen nur in sehr kleinen Mengen verwendet, nicht zum Ertränken von Speisen, sondern zum vorsichtigen Aromatisieren.

Lehre von den Körpersäften

Nicht nur in den Soßen, in praktisch allen mittelalterlichen Speisen spiegelt sich die damalige Vorstellung des Menschen. Die Medizin basiert auf der Humorallehre, die ihre Wurzeln in der arabischen, griechischen und römischen Kultur hat. Demnach besteht der menschliche Körper aus vier verschiedenen Säften: Blut, Schleim, gelbe Galle aus der Leber und schwarze Galle aus der Milz – so die mittelalterliche Vorstellung. „Der Mensch hat die Möglichkeit, unter anderem mit Hilfe des Essens auf diese Säfte einzuwirken und sie im Gleichgewicht zu halten. Das war sein Beitrag, um gesund zu bleiben. Die mittelalterlichen Speisen waren in der Regel immer in eine bestimmte humorale Richtung ausgerichtet.“

Ö1 Sendungshinweis:

Über das Thema berichtet auch Wissen Aktuell am 10.3.2020 um 13.55 Uhr.

Möglich war das, weil es im Mittelalter schon exotische Gewürze und Produkte in unseren Breiten gab, etwa Ingwer, Safran, Nelken, Feigen und Datteln. „Den Handel hat es immer gegeben, über Städte wie Venedig ist sehr viel bis nach Mitteleuropa gekommen“, so der Molekularbiologe Fritz Treiber. Er schränkt aber auch gleich ein: „Das war nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung, der sehr reich war und sich das leisten konnte.“

Für diese wenigen Menschen gab es aber eine große Menge an Rezepten, einige davon hat das Team des Mittelalterlabors an der Universität Graz in einer Broschüre zusammengefasst, sie werden in Seminaren mit interessierten Menschen nachgekocht.

Belegtext und Übersetzung der mittelalterlichen Mai-Soße.
Universitätsverein Kulinarisches Mittelalter Graz
Belegtext und Übersetzung der mittelalterlichen Mai-Soße.

Dass mit Fritz Treiber ein Molekularbiologe dabei ist, liegt an den alten Rezepten: Sie sind oft sehr ungenau, Mengen- und Zeitangaben fehlen. „Wenn nur beschrieben ist: Gib alles zusammen, mische es auf – da hilft die Wissenschaft weiter. Aus dem Verhalten der Moleküle kann man ableiten: Das muss jetzt rasten, da muss man später weitermachen, da kommt zuerst die Säure dazu. Man arbeitet mit Geschmacksmolekülen und Aromastoffen, und dann gelingt’s oft“, so Treiber.

Abgesehen von den überraschenden Geschmackskombinationen kann die moderne Küche seiner Meinung nach auch in puncto Nachhaltigkeit einiges vom Mittelalter lernen: „Im Mittelalter wurde nichts weggeworfen. Da kann man noch etwas lernen, wie wirklich alles aus Lebensmitteln herausgeholt werden kann, so dass nichts weggeworfen wird.“

Was nicht sofort verarbeitet werden konnte, wurde konserviert – meist getrocknet, wie etwa Petersilie, Bohnenkraut, Majoran und Schnittlauch in der Mai-Soße. Sie ist in der Zwischenzeit fertig angerührt, die Kräuter haben sich mit Zitrone, Essig und Wasser zu einer intensiven Paste verbunden, sie wird unter eine moderne Sauce hollandaise gemischt, zum Ei mit wächsernem Kern, Spinat und süß-sauren Schalotten serviert. Helmut Klug holt Teller und Besteck: „Noch ein paar Brösel Salz, und wir können essen.“