Das menschliche Gehirn in einem digitalen Datenraum
©christian42 – stock.adobe.com
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Datenanalyse

Eine digitale Bibliothek für das Gehirn

Riesige Datenmengen tragen Neurowissenschaftler Jahr für Jahr zusammen. Der IT-Forscher Florian Ganglberger macht aus dem Unüberschaubaren erfahrbares Wissen: Seine Arbeit vergleicht er mit der eines Bibliothekars.

Der Postdoc am Forschungszentrum für Visualisierungen, „VRVis“ forscht an Möglichkeiten, Daten in der Neurobiologie in Echtzeit auswerten und die komplexen Fragestellungen beantworten zu können. Viel dreht sich dabei um räumliche Informationen, etwa, wo gewisse Hirnfunktionen stattfinden, wo Gene oder Proteine eine Rolle spielen und wie Hirnbereiche zusammenhängen und -arbeiten.

Verknüpfung der Daten

Es geht auch darum, die Erkenntnisse so aufzubereiten, dass Forscherinnen und Forscher sie künftig auch kombinieren können. Genexpressionsdaten zeigen etwa, wo ein gewisses Gen Relevanz besitzt und seine Informationen in Erscheinung treten. MRT-Daten geben wiederum Aufschluss, wie das Gehirn anatomisch und strukturell beschaffen ist und wie einzelne Bereiche funktionell zusammenarbeiten.

In Kombination mit den Genexpressionsdaten, kann man so zum Beispiel herausfinden, ob und wo ein bestimmtes Gen relevant ist und erhält ein breiteres Verständnis, wie Gene im Hirn funktionieren. In der Analogie der „Buchhandlung zum menschlichen Gehirn“ versteht Ganglberger seine Lösungen wie einen Webshop, wo man Leseempfehlungen, sowie Rezensionen bekommt: „Forscherinnen und Forscher bekommen zum Beispiel die Information, in welcher Gehirnregion ist ein Gen relevant ist, das bei Krankheiten wie Alzheimer oder bestimmten Entwicklungsstörungen eine Rolle spielt. Wenn man weiß, wie die Krankheiten auf der genetischen Eben funktionieren, fällt es auch leichter, Medikamente zu entwickeln.“

Künstliche Intelligenz statt Statistik

Ö1-Sendungshinweis:

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 4.03., 13:55 Uhr.

Besonders machine learning, respektive „künstliche Intelligenz“ hilft Forscherinnen und Forschern, die Massen an Bildern von Hirnscans in Windeseile zu durchforsten und Unterschiede oder Auffälligkeiten zu finden. Etwa, wenn es darum geht, die Kontrollgruppe und die Gruppe der Kranken in Studien zu vergleichen. „Wie in den klassischen Suchbildern, die man aus den Zeitungen kennt, musste man früher mit Statistik und per Hand nachschauen, wo ein Unterschied zwischen den Bildern existiert. Aber wenn ich 100.000 Bilder habe, kann ich das nicht mehr machen. Da kann ich eben künstliche Intelligenz verwenden, um herauszuheben, wo ein Unterschied in der Population ist“, erklärt Ganglberger. „Auch die Datensätze selbst beinhalten oft wahre Schätze, die wirkliche Neuerungen im jeweiligen Feld bringen könnten, die man aber auf den ersten Blick vielleicht nicht bemerkt.“

Ganglberger ist quasi ein Dolmetscher zwischen den Disziplinen der Informatik und der Neurobiologie. Als solchem besteht seine Arbeit auch darin, aufzuzeigen, wo die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Datenanalyse und -visualisierung liegen. Oft wertet er Daten mit einfachen statistischen Mitteln aus, um zu sehen, wie man sie mit anderen, bereits publizierten Daten verbinden könnte – und welche Erkenntnisse sich daraus ergeben könnten.

Trend: Personalisierte Medizin

Die Zukunft sieht Ganglberger in der personalisierten Medizin. Erkenntnissen, wie sich zum Beispiel Gene auf das Verhalten auswirken, können Pharmaunternehmen bei der Entwicklung von neuen Medikamenten helfen. Ärztinnen und Ärzte können wiededrum Medikamente und deren Dosierung auf die jeweilige Patientin abstimmen. Es gehe nicht darum, ärztliches Personal zu ersetzen, betont Ganglberger, „sondern eher, dass man Patienten effektiver behandeln kann, indem die Software Hinweise auf Eigenheiten gibt. Darin liegt die Zukunft. Und das ist auch das Schöne an meiner Arbeit.“

Ö1-Schwerpunkt

Durch die permanent neuen Daten müsse er jede Woche umdenken, erzählt Ganglberger im Gespräch mit Ö1. Die Daten in Relation zum Bisherigen zu setzen und auf diese Weise neue Erkenntnisse zu destillieren, sei ein langwieriger Prozess. „Aber wenn dann zum Schluss eine tolle wissenschaftliche Publikation steht, wo man sagen kann: Wir haben etwas Neues gemacht und das könnte tatsächlich auch irgendwann jemandem helfen – dann freut mich das natürlich schon.“