Gesellschaft

„Der Technikglauben ist erschüttert“

Der Pandemie folgt die Ernüchterung: Die moderne Idee, mittels Technik die Natur mehr oder weniger zu beherrschen, hat laut dem Philosophen Konrad Paul Liessmann „einen schweren Einbruch erlitten“.

Die Coronakrise sei „für jeden von uns eine ganz außergewöhnliche Situation“, sagte der Kulturpublizist im ORF-Kulturmontag. Jeder müsse sein Leben „mehr oder weniger radikal umstellen“. Der aktuelle Ausnahmezustand hält für Liessmann auch die „ungeheure Paradoxie bereit, dass Solidarität heute bedeutet, sich von den Menschen zu distanzieren“.

Philosoph Liessmann zu Auswirkungen der CoV-Krise

Wird die Menschheit zur Demut gezwungen? Befeuert der Virus Nationalismen? Und kann dieser Ausnahmezustand ein Umdenken in unseren Handlungen bewirken? Dazu ist der Philosoph Konrad Paul Liessmann zu Gast im „kulturMontag“.

Der im Zeichen von Fortschritt, Technik, mehr Konsum, mehr Freiheit, etc. stehende Zeitgeist der vergangenen Jahrzehnte stehe nun im scharfen Kontrast zu der Tatsache, dass man dem Virus mitunter hilflos gegenübersteht. Wenn jetzt etwa Politiker Kriegsmetaphern bemühen, sei das angesichts des umfassenden Kampfes um die Beherrschung der Natur zwar nachvollziehbar, aber auch „sehr schief“, sagte Liessmann. Ein weiterer Aspekt, der durch die Krise zutage trete, sei, dass die Nationalstaaten immer noch der „eigentliche Souverän“ seien.

Kein Widerspruch zu Demokratie

Seitens der EU habe er sich eigentlich früher klare Vorgaben erwartet. Nun könne die Union etwa bei Vorgaben zu Grenzschließungen nur noch nachziehen. Dass all das zu einer „Renationalisierung“ führt, müsse nicht unbedingt sein. Laut Liessmann zeigt sich aber, dass im Sinne „bestimmter Ansprüche von Sicherheit“ auch Grenzen gezogen und gesichert werden müssten.

Die bisher gesetzten Maßnahmen, die auch stark in die Freiheits-und Bürgerrechte eingreifen, stünden jedenfalls „nach wie vor auf dem Boden der Demokratie und des Rechtsstaates“. Man dürfe nicht vergessen, „auch eine Demokratie ist nicht vor Katastrophen gefeit, in denen außergewöhnliche Maßnahmen getroffen werden müssen“.

Angesichts des Shutdowns im Kulturbereich erhalte zwar die „Aura“ des unmittelbaren Kunsterlebens einen Dämpfer, verloren gehe sie jedoch nicht. Nach einer Zeit der Absenz von diesem Erlebnis könne Kunst durchaus auch wieder intensiver erlebt werden, zeigte sich der Philosoph überzeugt.