Ausgetrockneter See in Chile
AFP – MARTIN BERNETTI
AFP – MARTIN BERNETTI
Umweltgeschichte

Was man aus historischen Krisen lernen kann

Krisen wie die Klimaerwärmung oder die Coronavirus-Pandemie erschüttern das Leben: Das zeigt auch ein Blick in die Geschichte. Aus der Analyse früherer Gesellschaften kann man Schlüsse für heute ziehen, meint ein israelischer Umwelthistoriker.

Wie stabil eine Gesellschaft ist, das hängt in beträchtlichem Ausmaß vom Klima ab, meint Ronnie Ellenblum, Professor für Historische Geografie und Umweltgeschichte an der Hebrew University in Jerusalem. Der Umwelthistoriker hätte Mitte März Gast einer Veranstaltung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien sein sollen.

Klimakatastrophen bedeuten Hunger – und der führt schnell zu Krieg und Flucht. Ronnie Ellenblum führt ein Beispiel aus Ägypten an, wo eine jahrelange Dürreperiode ab dem Jahr 1065 ganze Städte ausgerottet und Kriege angezettelt hat. Die Nahrung im Land war in extrem hohem Ausmaß vom Wasserstand des Nil abhängig. Die damalige Dürreperiode dauerte bis 1072. Es herrschte Hunger, Krankheiten verbreiteten sich, und die Menschen verließen die Städte und zogen auf der Suche nach Nahrung umher. Das Niltal war damals eine anarchische Zone, in der die Regierenden keine Kontrolle und keine Macht mehr besaßen.

Zugang zu Lebensmitteln

Man könne das in der Geschichte und auch in der Gegenwart sehen, so Ellenblum: “Wenn Menschen keinen Zugang zu Nahrungsmitteln mehr haben, wenden sie sich gegen die Regierenden, es droht ein Chaos." Auch in der aktuellen Krise, die keine Klimakrise, sondern eine Pandemie ist, kann man beobachten, wie schnell es zu – bisher meist irrationalen – Hamsterkäufen in der Bevölkerung kommt. Mit dem Ergebnis, dass vielleicht tatsächlich Nahrungs- oder Desinfektionsmittel dort knapp werden könnten, wo sie schnell und dringend gebraucht werden.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 14.4., 13:55 Uhr.

In seiner Analyse zur Geschichte und Gegenwart von gesellschaftlichem Zusammenhalt bringt Ronnie Ellenblum zwei Begriffe ins Spiel: Resilienz und Fragilität. Seit rund hundert Jahren sehen die Herrschenden die Umwelt stark aus der Perspektive der Resilienz – also im Glauben, man könne beispielsweise Naturkatastrophen voraussehen und mit moderner Technologie und Wissenschaft auch lösen. Doch der Blick in die Geschichte zeige, wie schnell alles zusammenbricht, wenn Menschen sich bedroht fühlen, so Ellenblum. „Wir sind zu jeder Zeit umgeben von Fragilität. Wir können viele Katastrophen und Unwägbarkeiten nicht voraussehen, brauchen aber den Glauben, alles in der Hand zu haben.“ Deshalb, so Ellenblum, haben wir das Konzept der Resilienz erschaffen.

Zukunft und Gegenwart bedenken

Die grundsätzliche Fragilität der Gesellschaft sei eine wichtige Dimension, die bei der Reaktion auf  Krisen mehr beachtet werden muss, so Ronnie Ellenblum. Wenn wir etwa über das Klima im Jahr 2050 Berechnungen anstellen, sollten wir nicht außer Acht lassen, dass sich schon jetzt Millionen Menschen auf der Flucht befinden, vor Krieg und Hunger.

Diesem Problem in der Gegenwart zu begegnen, statt es zu ignorieren, sei für die Stabilität einer Gesellschaft langfristig mindestens ebenso wichtig. Das kann man natürlich auch auf die aktuelle Coronavirus-Pandemie umlegen: In der aktuellen Krise braucht es eine Politik, die mit modernen Berechnungen und medizinischem Wissen in die Zukunft schaut, zugleich aber nicht den Blick für die emotionale Lage der Bevölkerung in der Gegenwart verliert.