Kleiner Bub und kleines Mädchen auf dem Sofa vor dem Fernseher mit Popcorn
JenkoAtaman – stock.adobe.com
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Sprachentwicklung

Wann Fernsehen, Youtube und Co. schaden

Wenn Kinder gerade mehr Zeit als sonst vor dem Bildschirm verbringen, sollte man darauf achten, was und mit wem sie schauen. Eine Metastudie zeigt: Zu viel passiver Konsum ist zwar ungünstig für die Sprachentwicklung. Werden allerdings lehrreiche Inhalte konsumiert oder Erwachsene schauen mit, kann der Nachwuchs sogar profitieren.

Schulen und Kindergärten waren lange geschlossen, viele Eltern mussten zuhause arbeiten und Rausgehen sollte man nur in dringenden Fällen. Zeit mit Freunden oder im Freien, Sport oder Veranstaltungen – alles fiel flach, und die Beschränkungen werden nur langsam gelockert. Vor allem kleineren Kindern kann so schnell fad werden. Auch deswegen ist die Situation seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen für viele Familien eine echte Herausforderung. Also wird der Nachwuchs – vermutlich häufiger als sonst – vor dem Bildschirm platziert: Fernsehen, Youtube und Co. müssen die Lücken füllen. Aktuelle Auswertungen zeigen, dass seit Einführung der Maßnahmen generell mehr ferngesehen wird und auch Streamingdienste wie Netflix deutlich zulegen konnten.

Das schlechte Gewissen, das bei vielen Eltern entsteht, ist nicht ganz unberechtigt. Nicht nur in Krisenzeiten – in denen natürlich etwas andere Regeln gelten als im Normalbetrieb – gehört der Medienkonsum zu den Dauerbrennern in der Erziehungsdebatte. Mit der zunehmenden Verbreitung der neuen digitalen Medien hat sie sich weiter verschärft. Der passive Konsum soll Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten behindern bzw. verzögern. Vor allem der Spracherwerb leide, wenn es weniger kommunikativen Austausch mit Erwachsenen und Gleichaltrigen gibt, meinen Experten. Das könne später weitreichende Folgen haben, z.B. für den Erfolg in der Schule und im Beruf.

Basis für Regeln

Kleinkinder unter zwei Jahren sollten daher nach Ansicht vieler internationaler Fachleute am besten gar nicht fernsehen oder Zeit vor einem Bildschirm verbringen. Bei Zwei- bis Fünfjährigen sollte es nicht mehr als eine Stunde sein. Auch im Volksschulalter sollte es klare Regeln geben, wie viel geschaut wird und vor allem was. Kritiker meinen allerdings für diese Empfehlungen gebe es viel zu wenige empirische Belege.

Die Forscherinnen und Forscher um Sheri Madigan von der University of Calgary haben für ihre kürzlich in der Fachzeitschrift „JAMA Pediatrics“ erschienenen Metastudie die Fachliteratur systematisch durchsucht. Am Ende flossen die Daten aus 42 Einzeluntersuchungen mit insgesamt 18.905 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in die Analyse ein. Die ältesten stammen aus den 1970er Jahren, die neuesten aus dem vergangenen Jahr. Die meisten basieren auf Fragebögen.

Qualität entscheidet

Tatsächlich fanden die allermeisten Studien einen negativen Zusammenhang zwischen Bildschirmzeit und Sprachentwicklung. D.h., je länger ein Kind vor dem Bildschirm sitzt, umso deutlicher hinkt es beim Spracherwerb hinterher. Der Effekt sei zwar nicht sehr groß, aber dennoch signifikant – auf gesamtgesellschaftlicher Ebene also durchaus relevant. Die Ergebnisse unterstreichen zudem, dass diese Art der Unterhaltung besonders für sehr kleine – unter 18 Monate alte – Kinder ungeeignet ist, schreiben die Autorinnen und Autoren. Je später der Nachwuchs damit anfängt, umso besser, betonen sie.

Jene Studien, die sich allerdings auch mit den Inhalten und den Umständen des Konsums beschäftigen, ergaben ein etwas differenzierteres Bild. Schauten die Mädchen und Buben vorwiegend lehrreiches bzw. pädagogisch wertvolleres Programm – als Beispiel wird etwa die „Sesamstraße“ genannt, hatten zumindest die älteren statistisch betrachtet sogar einen Vorteil in der Sprachentwicklung. Das gleiche gilt für jene Kinder, die vorwiegend gemeinsam mit Eltern oder anderen Erwachsenen vor dem Bildschirm sitzen, besonders Buben dürften davon profitieren. Das könnte an der zusätzlichen Kommunikation liegen, die beim gemeinsamen Schauen vermehrt stattfindet. Erwachsene helfen vermutlich auch dabei, das Programm zu verstehen und richtig einzuordnen. Außerdem schaut der Nachwuchs in diesem Fall wohl eher dem Alter angemessenes Programm.

Viele Einflüsse

Natürlich sei die Sprachentwicklung auch von ganz vielen anderen Faktoren abhängig, betonen die Autorinnen und Autoren. Dazu zählen etwa der sozioökonomische Hintergrund, aber auch der kommunikative Austausch mit den Eltern – je mehr sie mit dem Nachwuchs sprechen, umso besser. Genau diese direkte Kommunikation falle heute häufig dem Bildschirm zum Opfer. Auch halte das passive Zuschauen die Kinder von vielen anderen Dingen ab, die für die Entwicklung wichtig sind, z.B. Bewegung, Lesen, Zeichnen oder Spielen. Selbst das beste Fernsehprogramm könne diese Aktivitäten nicht ersetzen. Deswegen sei eine zeitliche Begrenzung in jedem Fall sinnvoll, heißt es in der Studie.

Die meisten verwendeten Daten beziehen sich übrigens auf klassisches Fernsehen oder fernsehähnlichen Konsum am Computer. Das heute im Alltag allgegenwärtige Smartphone spielte in den meisten Studien noch keine Rolle. Die Forschung sei nicht schnell genug für den technologischen Fortschritt, schreiben die Autorinnen und Autoren. Welche Auswirkungen die mobilen Geräte auf Kinder und ihre Entwicklung haben, sollte ihrer Ansicht nach dringend mehr untersucht werden.