Zwei Männer mit Aktenmappen eilen zu einem Termin
ISABEL INFANTES/AFP
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Wie andere Länder mit der Krise umgehen

Im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie verfolgt jedes Land seinen eigenen Plan. Eine internationale Strategie gibt es nicht – das gilt auch für die Europäische Union. Ein Ländervergleich.

Das deutsche Science Media Center hat vor einigen Wochen Grafiken ins Netz gestellt, auf denen täglich aktualisierte Infektionszahlen ausgewählter Länder ablesbar sind. Während die Kurven in Europa nach wie vor steil nach oben zeigen, haben sie sich in China, Japan, Südkorea, Hongkong und Singapur abgeflacht. Das liegt zum einen daran, dass diese Regionen von der Infektionswelle früher erreicht wurden und die Gegenmaßnahmen entsprechend länger aufrecht sind.

Aber nicht nur: „Diese Länder haben von der SARS-Epidemie der Jahre 2002 und 2003 gelernt. Sie testen die Bevölkerung und können auf diese Weise Erkrankte isolieren und mögliche Infektionen verfolgen“, sagt Raya Muttarak. Im Fall von Japan könnte das gute Krisenmanagement auch kulturelle Gründe haben, vermutet die Direktorin des IIASA World Population Program. Dort sei die Bedrohung durch Erdbeben und Tsunamis allgegenwärtig – und die Gesellschaft infolgedessen eher bereit, in Krisensituationen als Kollektiv zu reagieren.

Keine europäische Strategie

Was die Koordination der Coronakrise auf europäischer Ebene betrifft, zeigt sich Muttarak bisher enttäuscht. „Wir haben in Europa ebenso wie in den USA ein Zentrum für Seuchenkontrolle und -prävention. Man hätte die Untersuchung der Infektionsfälle systematisch steuern können. Aber es gibt keine Richtlinien. Momentan verfolgt jedes Land seinen eigenen Plan.“

Schild des Europäisxhen Zentrums für Seuchenkontrolle und -prävention (ECDC)
JESSICA GOW / SCANPIX SWEDEN / AFP
Das europäische Center for Disease Prevention and Control trat bisher wenig in Erscheinung

Ähnliches gilt für ökonomische Fragen. Die EU-Wirtschafts- und Finanzminister haben am Montag einem Vorschlag der EU-Kommission zugestimmt, die europäischen Schulden- und Defizitregeln vorübergehend auszusetzen. De facto war die Entscheidung für diesen notwendigen Schritt längst gefallen: und zwar auf nationaler Ebene.

Großbritanniens Fehlkalkulation

Der Direktor der IIASA Risk and Resilience Program, Reinhard Mechler, schätzt die Lage in Österreich bisher positiv ein. „Die von der Bundesregierung gesetzten Maßnahmen haben momentan eine hohe Akzeptanz, die Leute bleiben zu Hause. Ich auch.“ Rückhalt in der Bevölkerung sei auch notwendig, denn das Modell China – wo sich mittlerweile eine Normalisierung des Alltagslebens abzeichnet – sei nicht auf Österreich übertragbar. „China ist eine Diktatur. Hier wurden die Maßnahmen mit Hilfe eines massiven Sicherheitsapparates durchgesetzt. Bei uns wäre das natürlich inakzeptabel. Deshalb spielt der Appell an den Gemeinsinn eine so wichtige Rolle.“

Länderspezifische Unterschiede lassen sich auch innerhalb von Europa ausmachen. Dass Großbritannien zunächst auf Herdenimmunität gesetzt hat, ist nach Mechlers Ansicht kein Zufall: „Großbritannien ist stark marktwirtschaftlich orientiert. Hier wurde zunächst eine Kosten-Nutzen-Rechnung angestellt. Lassen sich die wirtschaftlichen und die gesundheitlichen Risiken der Coronakrise gegenrechnen? Ich denke, da haben sich Berater die Berater von Premier Johnson verkalkuliert.“

Die Krise als Chance

Mit Blick die Zukunft kann der Risikoforscher den gesellschaftlichen Veränderungen durchaus etwas Positives abgewinnen. Etwa in Bezug auf den Klimaschutz, der notwendigerweise nur durch einen internationalen Schulterschluss gelingen kann. „Der Klimawandel wurde immer wieder als unausweichlich dargestellt. Tatsächlich geht es gar nicht darum, ob wir das ändern können. Sondern vielmehr darum, ob wir das ändern wollen. Es fehlt der politische Wille. Ich bin überzeugt: Da wäre noch viel möglich.“

Wie schnell die Umwelt auf die derzeit gebremste Wirtschaftsleistung reagiert, zeigen Satellitenmessungen der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Die Luftqualität hat sich in der norditalienischen Industrieregion in den letzten Wochen merklich verbessert, auch in den USA und China wurden ähnliche Trends festgestellt. Womit sich der Kreis schließt. Laut einer Untersuchung italienischer Wissenschaftler könnten sich Coronaviren an Smog- und Feinstaubpartikel anheften – und auf diese Weise weiträumig verbreiten. Viel weiter, als es in sauberer Luft möglich wäre. Möglicherweise ist das ein Mitgrund dafür, dass die Infektionszahlen in der italienischen Po-Ebene besonders hoch waren.