Hände werden unter laufendem Wasser gewaschen
dpa/Patrick Pleul
dpa/Patrick Pleul
Medizingeschichte

Als Händewaschen umstritten war

Händewaschen rettet Leben. Spätestens mit dem Coronavirus ist diese Botschaft bei den allermeisten Menschen angekommen. Der „Erfinder“ des Händewaschens, der Wiener Arzt Ignaz Semmelweis, wurde für seine Erkenntnisse zur Hygiene lange Zeit angefeindet.

Ignaz Semmelweis wurde 1818 im ungarischen Buda geboren. Er begann seine Karriere ab 1846 als Assistent an der I. Gebärklinik im Wiener Allgemeinen Krankenhaus. Dort starben über 15 Prozent der Frauen nach der Geburt ihres Kindes an Kindbettfieber. An der II. Gebärklinik war die Sterblichkeit wesentlich geringer.

Den Grund erkannte Ignaz Semmelweis bald: An der I. Klinik halfen Ärzte bei der Geburt, bei der II. Klinik hauptsächlich Hebammen. Die Hebammen hatten saubere Hände – im Gegensatz zu den Ärzten. Letztere kamen oft direkt aus dem Sezierkeller ins Gebärzimmer. Die Ärzte desinfizierten ihre Hände nicht und infizierten so die Frauen unter anderem mit Leichengift, erklärt die Historikerin Daniela Angetter vom Austrian Center for Digital Humanities an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: „Das große Problem war, dass die Ärzte zuerst pathologische und anatomische Studien durchgeführt haben und dann zu den Frauen gekommen sind, diese angegriffen haben und untersucht haben, ohne sich die Hände vorher zu waschen.“

Versuche mit Kaninchen

Der Tod seines Freundes Jakob Kolletschka lieferte Semmelweis einen weiteren Beweis für einen Zusammenhang zwischen Hygiene und Sterblichkeit. Der Pathologe und Gerichtsmediziner verstarb an einer Blutvergiftung, nachdem ihn ein Student bei Sezierübungen an der Hand verletzt hatte. Semmelweis fand heraus, dass Kolletschka an den gleichen Krankheitssymptomen litt, wie die an Kindbettfieber erkrankten Frauen.

Auch anhand von Tierversuchen mit Kaninchen konnte Ignaz Semmelweis den Übertragungsweg des Kindbettfiebers aufzeigen. Semmelweis machte letztendlich auch eine wissenschaftliche Untersuchung in der I. Gebärklinik und brachte eindeutige Ergebnisse: Wurden Hände und Geräte mit Chlorkalk desinfiziert, starben nur noch etwa 1,3 Prozent der Mütter an Kindbettfieber.

Mediziner verweigern neue Erkenntnis

Eigentlich war das genug, um nachzuweisen, dass Kindbettfieber durch hygienische Maßnahmen – wie Reinigung der Hände mit Chlorkalklösung – vermieden werden kann. Obwohl ihn einige Kollegen von Anfang an unterstützten, stieß Semmelweis mit seiner Lehrmeinung bei den meisten auf heftigen Widerstand. Das lag auch daran, dass der damalige Kenntnisstand der Medizin einen direkten Nachweis einer bakteriologischen Übertragung noch nicht ermöglichte. Darüber hinaus wollten sich die hochrangigen Mediziner aber vor allem nicht eingestehen, am Tod ihrer Patientinnen schuld zu sein. Händewaschen galt daher weiterhin als überflüssige Zeitverschwendung.

Vor allem Ignaz Semelweis’ Vorgesetzter, der Gynäkologe Johann Klein, ebenso wie der Augenarzt Anton Edler von Rosas, feindeten ihn stark an. Auch international stand er beim Großteil seiner Kollegenschaft als Nestbeschmutzer da. Einer seiner größten Gegner war der deutsche Pathologe Rudolf Virchow. Es half auch wenig, dass Carl von Rokitansky in seiner Funktion als Präsident der Gesellschaft der Ärzte 1850 die Lehrmeinung von Semmelweis offiziell anerkannte und ihm in dieser hitzigen Debatte Recht gab. 

Semmelweis zerbrach an Kritik

Semmelweis zerbrach daran, dass seine Erkenntnisse auf so starke Ablehnung stießen. Verbittert verließ er Wien, ging zurück nach Ungarn und fungierte an der Universität Pest als Hebammenlehrer und Professor für theoretische und praktische Geburtshilfe. 1865 führte eine fortschreitende Erkrankung zur Einlieferung in die Niederösterreichische Landesirrenanstalt in Wien-Döbling, wo er unter bis heute nicht ganz geklärten Umständen starb.

Erst 1867 führte der Chirurg Joseph Lister die Desinfektion von Operationssälen mit Karbol ein. Die Ärztegeneration nach Semmelweis setzte seine hygienischen Maßnahmen bei Gebärenden dann konsequent um. Aber noch heute erinnert der sogenannte Semmelweis-Reflex an das Leid innovativer Vordenker in der Wissenschaft. Der Semmelweis-Reflex beschreibt eine Erkenntnis, die in der Fachwelt auf Ablehnung stößt, weil sie verbreiteten Normen widerspricht.