Graugans mit Nachwuchs
APA/dpa/Peter Steffen
APA/dpa/Peter Steffen

Wenn Feldforschung ausfällt

Manche Forschungsarbeiten lassen sich nicht um Wochen oder Monate verschieben, sondern nur ins nächste Jahr: Graugänse brüten nur einmal, wie Didone Frigerio erklärt. Das ist nur eine der vielen Herausforderungen, der sich die Verhaltensforscherin derzeit stellen muss.

Eine Veränderung bringt immer eine Herausforderung mit sich, da oft eine Anpassung an Neues notwendig ist. Konkret in unserer aktuellen Situation finde ich die Herausforderungen tiefgreifend, besonders, da alle Lebensbereiche (Beruf, Familie, Freizeit) gleichzeitig und auf längere Zeit beeinflusst werden.

Didone Frigerio
A. Loth

Didone Frigerio leitet eine Arbeitsgruppe an der Konrad Lorenz Forschungsstelle der Universität Wien, wo sie unter anderem Graugänse erforscht.

Bis vor ein paar Wochen bin ich gegen 8 Uhr am Arbeitsplatz gewesen, habe mich mit Kolleginnen und Kollegen unterhalten, „Was steht heute am Plan? Wie viele Waldrappe brüten bereits? Was tun die Graugänse?“ Der Vormittag war der Feldarbeit gewidmet, die Beobachtung unserer freifliegenden Graugänse und Waldrappe, der Nachmittag eher dem Schreiben und der Lehre.

Jetzt sitze ich um 7 Uhr mit einer Tasse Kaffee zu Hause und denke, was kann ich ungestört machen, bevor die Kinder in die Küche stürmen? Der Tagesablauf hat sich geändert. Ich habe mich mit der Reihenfolge der Prioritäten auseinandersetzen müssen. Zu den gängigen Kriterien ‚wichtig‘ und ‚dringend‘ hat sich plötzlich ‚triftig‘ dazu gesellt, zusammen mit der Aufforderung auf Notbetrieb umzustellen. Das erforderte eine Reflexion der Aufgaben. Trotz der virtuellen Kommunikationsmöglichkeiten haben wir im Team unsere Vorhaben für die nächsten Wochen neu betrachten und über dessen Machbarkeit reflektieren müssen.

So sind Projekte, für die schon alles vorbereitet war und die kurz vor dem Start standen, vorübergehend abgesagt und auf nächstes Jahr verschoben worden, da aufgrund der Saisonalität unserer Datenaufnahmen eine Verschiebung um ein paar Wochen nicht möglich ist – so auch bei meinen Forschungsobjekten, den Graugänsen: Sollten sie das Nest heuer verlieren, werden sie erst in einem Jahr wieder brüten können. Obwohl die bereits getroffenen organisatorischen Maßnahmen nächstes Jahr wieder aufgegriffen werden können, ist vor allem bei den Studierenden, die voller Eifer und hochmotiviert ihre Masterarbeit angefangen hätten, die Enttäuschung sehr groß.

Grenzenloser Zusammenhalt

Durch Ereignisse wie diese habe ich mich sowohl mit den greifbaren kurz- als auch mit den noch ungewissen langfristigen Auswirkungen der jetzigen Situation konfrontieren müssen. Ich vermag mich als Weltbürgerin zu sehen, ein Teil meiner Familie wohnt in Italien, im Corona-Kern-Gebiet Lombardei, meine ältere Tochter befindet sich gerade in Frankreich für ein freiwilliges soziales Jahr, mein jüngerer Bruder ist mit seiner Familie beruflich in Jordanien.

Die Sorgen um diese mir sehr nahestehenden Personen haben mir bewusst gemacht, dass – wie das Virus – auch Zusammenhalt keine Grenzen kennt. Die Einschränkung der sozialen Kontakte fordert uns, alternative Kommunikationskanäle zu nutzen und effektiv damit umzugehen. Die mitforschenden Bürgerinnen und Bürger, die gerade meine Forschung unterstützen sind auf unserem Projekt “NestCams“ aktiver und neugieriger geworden, worüber wir uns natürlich sehr freuen!

Beruflicher Notbetrieb, familiärer Notbetrieb, bei ersterem gibt es klare Richtlinien, bei zweiterem hat jeder von uns innerhalb der eigenen vier Wände einen gewissen Spielraum. Dass meine, unsere vier Wände jetzt plötzlich meine, unsere „ganze Welt“ werden (alles passiert dort: Home-Office, E-learning, Schulbetrieb und trotz allem immer noch Rückzugsort), empfinde ich als größte Herausforderung der jetzigen Stunde. Anfangs dachte ich mir, dass die Situation zu einer Entschleunigung führen würde. Das finde ich mittlerweile trügerisch, weil dieser Sonderfall auch den Aufwand für unterschiedliche Tätigkeiten erhöht. Mehr Zeit zum Lesen von Büchern habe ich auf jeden Falls noch nicht gefunden.