Frau mit Mundschutz in Mumbai geht an einem Buddha-Graffiti vorbei, ebenfalls mit Maske
AFP/INDRANIL MUKHERJEE
AFP/INDRANIL MUKHERJEE

Weit weg von zuhause

Um in der Wissenschaft Karriere zu machen, muss man die Heimat oft weit hinter sich lassen, wie Suchita Kulkarni. Die Physikerin forscht derzeit in Wien. In diesen Tagen versucht sie sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, ihre Gedanken und Sorgen kreisen aber um ihre Familie in Indien.

Suchita Kulkarny
Klaus Pichler/ÖAW

Suchita Kulkarni studierte an der Universität Mumbai in Indien und ist derzeit Post-Doc am Institut für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Forscherin, Frau, Immigrantin, Tochter, Mentorin, Lektorin, Chefin – das sind ein paar Begriffe, die mich beschreiben. Derzeit spüre ich die Verantwortung für jeden einzelnen. Dazu zählt, dass ich sicher sein möchte, dass es meinen Eltern in 6.000 Kilometern Entfernung gut geht, dass es meinen Studierenden gut geht und sie gut mit ihren Abschlussarbeiten vorankommen, aber ich vergesse auch nicht auf Fragen der Gerechtigkeit und der Diversität – Dinge, die mir wichtig sind. Außerdem muss ich schauen, dass meine Arbeit so beständig wie möglich weiterläuft.

Am meisten Sorgen mache ich mir um meine Eltern in Indien, da mein Vater blind ist. Nachdem Indien einen der weltweit extremsten Lockdowns erlebt, steht sein ohnehin angespanntes Wirtschaftssystem auf dem Prüfstand. Durch die komplizierte Beziehung zwischen den Menschen und der Regierung kann die Situation in jede Richtung kippen. Werde ich meinen Eltern helfen können, wenn das Schlimme noch schlimmer wird? Das kann nur die Zeit zeigen. Mein Twitter-Account ist ein Ventil für meine Angst. Ich sammle dort Quellen der wissenschaftlichen Kommunikation in indischen Sprachen. Es hilft mir zu wissen, dass ich zumindest eine kleine Rolle spiele.

Balance finden

Als Immigrantin fühl ich mich manchmal auch isoliert. Ich bin seit einer Weile auf der Plattform FragNebenan. Es macht mir Mut, wenn ich sehe, wie die Menschen in Österreich derzeit einander helfen.

Ich frage mich selbst, wie ich mit dieser kognitiven und emotionalen Überbelastung zurechtkommen kann und eine Balance mit der wissenschaftlichen Karriere finde – in dieser Hinsicht habe ich Glück. Ich habe keine Kinder, die ich zuhause unterrichten muss. Ich lebe in einem entwickelten Land. Für meine Arbeit brauch ich nur Papier, Stift und Computersimulationen. Ich kann sie daher von zuhause aus erledigen und Probleme auf Skype diskutieren. Diese Überlegungen geben mir Halt.

Ich wache jeden Tag um fünf Uhr früh auf. Ich arbeite sehr fleißig bis 10 Uhr am Vormittag. Danach sammle ich die kreativen Momente, die ich im Lauf des Tages finde. Für meine Studierenden und Mitarbeiter habe ich fixe Zeiten eingerichtet, zu denen wir uns treffen. Wann immer es möglich ist, arbeite ich voll konzentriert; wenn nicht, lese ich wissenschaftliche Literatur. Wenn das auch nicht geht, gebe ich auf und mache etwas ganz anderes. Vor allem erinnere ich mich daran, menschlich zu sein und nett.