Messgerät für Blutdruck
APA/dpa/Jochen LŸbke
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Blutdrucksenker: Keine Beweise für Risiko

Seit Tagen kursieren Behauptungen über blutdrucksenkende Medikamente – ACE-Hemmer würden eine Coronavirus-Infektion wahrscheinlicher machen. Das verunsichert viele Betroffene, doch Mediziner warnen: Das seien nur Hypothesen, Beweise gebe es keine.

Zu ACE-Hemmern kursieren seit Tagen Warnungen im Zusammenhang mit Covid-19 im Netz: Die Einnahme der Medikamente könne dafür sorgen, sich leichter mit dem Sars-Corona-Virus-2 zu infizieren oder einen schwereren Verlauf der Lungenkrankheit zu haben. Ein Ausgangspunkt dafür waren Spekulationen in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“. Thesen, die für Verunsicherung sorgen, aber nicht durch wissenschaftliche Ergebnisse oder klinische Studien belegt werden können.

Behauptung: nur theoretisches Konzept

ACE-Hemmer und die verwandten Angiotensin-Antagonisten gehören zu den am weitesten verbreiteten Medikamenten. Denn sehr viele Menschen leiden unter arteriellem Bluthochdruck. Weil die Elastizität der Gefäße mit dem Alter abnimmt, steigt bei vielen Menschen der Blutdruck an. Das kann gefährlich werden, denn chronischer Bluthochdruck gehört zu den wichtigsten Risikofaktoren für Schlaganfälle und Herzinfarkte.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 1.4., 7:00 Uhr.

ACE-Hemmer und Angiotensin-Antagonisten helfen, hier vorzubeugen. Es handelt sich um Medikamente, die auf unterschiedliche Weise das gefäßverengende Hormon Angiotensin ausschalten. In Folge sinkt der Blutdruck und das Herz wird entlastet. Hier setzen auch die theoretischen Überlegungen an, die Covid-19 mit den Blutdrucksenkern in Verbindung bringen. Wegen dieser Medikamente kommt es zu einer Vermehrung von ACE-2-Rezeptoren, die das Sars-Coronavirus-2 nutzt, um die Zellen des Wirtes zu befallen.

Hypothese: auch Vorteile denkbar

Wegen dieses Zusammenhangs sei es zu der Diskussion gekommen, ob Bluthochdruckpatientinnen und -patienten womöglich Nachteile im Zusammenhang mit Covid-19 hätten, sagt der Pharmakologe Hans-Günther Knaus von der Medizinischen Universität Innsbruck. „Also die Frage ist, ob das Virus bei Menschen, die diese Medikamente nehmen, vermehrt Rezeptoren findet, um in das Lungengewebe einzudringen“, so Knaus.

Das sei allerdings nur eine These, Ergebnisse wissenschaftlicher Studien gebe es dazu nicht. Und mehr ACE-2 im Körper könnte rein theoretisch auch Vorteile für die Patientinnen und Patienten haben. Denn das Protein ist nicht nur im Lungengewebe vorhanden. „ACE-2-Rezeptoren zirkulieren auch frei im Körper und es könnte sein, dass Viruspartikel an dieses lösliche ACE-2 binden und das Virus dementsprechend die Lunge gar nicht erreicht“, so Knaus. Eine solche potentielle Schutzfunktion, wird auch in der aktuellen Ausgabe des New England Journal of Medicine (NEJM) diskutiert.

ACE-Hemmer: in ganz Europa verbreitet

Aber, sowohl die Autoren des Überblicks als auch Hans-Günther Knaus betonen, dass die Medizin zu wenig über mögliche Nachteile oder potenzielle Vorteile der Blutdrucksenker im Zusammenhang mit Covid-19 wisse. Knaus bezweifelt auch, dass die Blutdrucksenker eine Erklärung für die relativ hohe Sterberate bei Covid-19 in Italien sein könnten. Denn die Medikamente seien nicht nur dort, sondern auch in Deutschland oder Österreich sehr weit verbreitet, wo die Sterberaten bis dato niedriger sind.

In Österreich würden jedes Jahr 13 Millionen Packungen dieser Blutdrucksenker verschrieben, mehr als bei jedem anderen Medikament. „Runtergebrochen auf die Patientinnen und Patienten, müssen wir von 1,2 bis 1,3 Millionen Menschen ausgehen, die diese Blutdruckmittel nehmen“, so Knaus. Statistisch gesehen, nehme jeder Zweite über 57 Jahren ein Medikament aus dieser Arzneistoffklasse ein. In China dürften es wesentlich weniger Menschen sein, wie im NEJM vorgerechnet wird, nämlich nur 30 Prozent der Patienten.

Warnung: Medikamente nicht absetzen

Auch Peter Siostrzonek, der Präsident der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft und Vorstand der Kardiologie im Ordensklinikum Linz, warnt davor, sich verunsichern zu lassen. Blutdrucksenker gegenwärtig abzusetzen, sei absolut nicht zu empfehlen. „Diese Medikamente sollten in gewohnter Dosis unbedingt weiter genommen werden, denn alle Meldungen, die hier ergangen sind, sind reine Spekulationen“, sagt Siostrzonek.

Es gebe bis jetzt keine Daten von Untersuchungen am Menschen und keine Ergebnisse aus klinischen Studien, die zeigten, dass an diesen Hypothesen etwas dran sei, so der Kardiologe. Blutdrucksenker abzusetzen, könne gravierende gesundheitliche Folgen haben, warnt er. Es könne zu einem plötzlichen Anstieg des Blutdrucks, zu einem Herzinfarkt oder Schlaganfall kommen. In Zeiten, in denen die Intensivstationen ausgelastet sind, hätten Betroffene eine noch schlechtere Prognose als sonst.