Blick in die Infektionsabteilung und Isolierstation im Kaiser-Franz-Josef-Spital.
APA/HELMUT FOHRINGER
APA/HELMUT FOHRINGER

Die Mühen des Plateaus

Im Februar sind die ersten Infektionen mit SARS-CoV-2 in Österreich aufgetreten. Seit damals werden Politik und Gesellschaft von Zahlen getrieben – manche davon gut dokumentiert, andere nur Schätzungen. Die Analyse zeigt: Die Kurve flacht sich ab, aber nun zeigen sich die Mühen des Plateaus.

Bei 11.383 Menschen wurde mit Stand Freitag, 15.00 Uhr, das neue Coronavirus SARS-CoV-2 nachgewiesen, das zeigen die neuesten Zahlen aus dem Gesundheitsministerium. Der Weg nach oben, von wenigen Fällen im Februar auf 11.383 Fälle am Freitag, war nicht gleichförmig. Am 13. März stellte die Bundesregierung den Unterricht an Schulen ein und sperrte viele Geschäfte zu. Wenige Tage danach hat sich das Wachstum eingebremst und stellt seit Ende März nahezu ein Plateau dar (zumindest in der logarithmischen Skala, siehe Grafik 1).

Aber wie aussagekräftig sind Infektionszahlen, sind sie nicht nur das Ergebnis von mehr Tests? „Infektionszahlen zeigen einen generellen Trend, ob es zu einem weiteren Anstieg der Erkrankung kommt, aber was viel wichtiger ist, ist die viel zitierte Verdoppelungszeit des Virus“, sagte die Leiterin der Abteilung für Epidemiologie an der MedUni Wien, Eva Schernhammer. Diesen Faktor erhält man, indem man die Anzahl der bestätigten Fälle an einem Stichtag heranzieht und berechnet, wie lange es dauert, bis sich diese Zahl verdoppelt hat.

Deutlich längere Verdopplungszeit

„Bevor die Coronavirus-Maßnahmen implementiert wurden, hatten wir in Österreich eine Verdoppelungszeit von zwei Tagen und zehn Stunden. In der ersten Woche der Maßnahmen hat sich die Verdoppelungszeit auf über drei Tage verlängert. Vergangene Woche dann waren wir schon auf über vier Tagen, und derzeit ist der Stand, dass die Verdoppelungszeit irgendwo zwischen neun und zehn Tagen liegt“, so Schernhammer. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat zuletzt die Verdoppelungszeit mit acht Tagen beziffert, die Zahlen schwanken also. Eines zeigt sich aber klar: Es gibt starke Unterschiede zwischen den Bundesländern, das Magazin „Addendum“ hat etwa für Vorarlberg eine Verdopplungszeit von 19,4 Tagen berechnet, für Wien 9,5 Tage.

Grundsätzlich kann aber festgestellt werden: Die Maßnahmen wirken, die Kurve hat sich abgeflacht – auch bei den Aufnahmen in Krankenhäuser und Intensivstationen. Die Zahlen nehmen zwar nach wie vor an den meisten Tagen zu, aber nicht mehr so schnell wie zu Beginn der Epidemie. Trotzdem bleibt die medizinische Einschätzung dieser Epidemie schwierig, die Ableitungen für politische Maßnahmen eine Annäherung, der Weg auf dem Plateau steinig.

Wichtige Kennziffern nur Schätzungen

Denn wichtige Kennziffern kennt man noch immer nicht: Da ist zum einen die Dunkelziffer jener Menschen, die ganz ohne oder nur mit leichten Symptomen infiziert sind. „Man geht davon aus, dass mindestens 50 Prozent der Infizierten nie entdeckt wurden. Manche Studien führen höhere Zahlen an, einzelne Simulationsstudien sprechen sogar von 90 Prozent unentdeckter Fälle. Anhand dieser Schätzungen gibt es Grund zur Annahme, dass die Dunkelziffer der Infizierten wesentlich höher liegt, als wir es derzeit wissen“, sagte Schernhammer.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichtete auch das Mittagsjournal am 3.4.2020.

Zum anderen wurde in den letzten Tagen immer wieder die Reproduktionszahl genannt, auch von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Anschober. Sie haben sie als wichtige Kennziffer angeführt, um über eine Lockerung der Beschränkungen entscheiden zu können. Die Reproduktionszahl gibt an, wie viele Menschen eine infizierte Person ansteckt. Liegt die Zahl bei eins, steckt ein Kranker eine weitere Person an, bei zwei sind es im Durchschnitt zwei weitere Personen etc. „Derzeit versucht man mit all den Maßnahmen, diese Reproduktionszahl auf eins oder darunter zu drücken, damit die Anzahl kranker Menschen nicht zu- oder sogar abnimmt“, so Schernhammer im Interview mit Ö1.

Das Problem dabei: Niemand weiß, wo diese Zahl derzeit wirklich liegt, Anschober hat sie zuletzt mit 1,2 angegeben, Schätzungen liegen aber auch darüber. Zu Dunkelziffer und Reproduktionszahl laufen mehrere Untersuchungen in Österreich und Deutschland. Hierzulande wurde zuletzt angekündigt, dass anhand einer Stichprobe mit 2.000 Menschen die Dunkelziffer versteckter Infektionen erhoben werden soll. Im Lauf des April werden hier Zahlen vorliege, dann wird man auch die mühevollen Wochen auf dem Plateau besser planen können.

Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft

Mehr zum Coronavirus: