ESOC in Darmstadt, Kontrollzentrum der ESA
AFP/YANN SCHREIBER
AFP/YANN SCHREIBER
ESA

Raumfahrt: Zurück zur Routine

Das Coronavirus hat den Planeten fest im Griff. Die Auswirkungen reichen sogar bis ins All. Denn in den europäischen Kontrollzentren war Quarantäne angesagt. Kurzfristig waren einige Sonden auf sich gestellt. Ganz allmählich fahren sie wieder hoch.

Europas Weltraumagentur ESA ist über den ganzen Kontinent verteilt. Der wissenschaftliche Direktor der ESA, Günther Hasinger, hat es dabei besonders schön erwischt – normalerweise. „Ich bin hier in Madrid sozusagen im Lockdown, zusammen mit meiner Frau“, erzählt Hasinger. Er fühle sich aber „relativ sicher“: „Die Straßen sind leer, der Himmel ist blau – es ist ein sehr seltsames Gefühl.“

Günther Hasinger ist der Chef des europäischen Weltraumastronomiezentrums ESAC, das in der Madrider Gemeinde Villanueva de la Cañada, etwa 30 Kilometer westlich von Spaniens Hauptstadt, seinen Sitz hat. Wenn er nicht gerade da ist, muss er nach Paris, nach Noordwijk oder zu einem anderen europäischen Raumfahrt-Hotspot. „Normalerweise fliege ich ständig hin und her, so dass ich es genieße, dass wir momentan sehr viel mehr über digitale Medien machen.“

Denn es ist Quarantäne angesagt – für den Chef genauso wie für seine Mitarbeiter. Das ESAC hat die Zahl seiner Mitarbeiter vor Ort von knapp 400 auf etwa zehn heruntergefahren.

Durchds Labyrinth um die Erde

Das macht zunächst einmal keinen großen Unterschied bei Satelliten, die die Erde umkreisen. Ihre Umlaufbahnen sind meist stabil und müssen nicht korrigiert werden. Trotzdem sitzt eine Art Notbesatzung vor den Bildschirmen und überwacht diese immergleichen Orbits. Denn: „Um die Erde kreisen derzeit etwa 5.000 Satelliten“, sagt Günther Hasinger. „Da müssen wir unsere Satelliten durchmanövrieren.“ Denn jeden Tag erhalten die Mitarbeiter mehr als hundert Kollisionswarnungen. Da muss das Bodenpersonal entscheiden ist, ob es eingreifen soll oder nicht.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 8.4., 8:00 Uhr.

Von Madrid nach Deutschland, ans europäische Satellitenkontrollzentrum: Der Leiter vom ESOC ist Rolf Densing. “Mein Büro ist in Darmstadt, aber so wie mehr als 90 Prozent unserer Mitarbeiter bin auch ich gerade in Telearbeit“, so Densing. „Das, was ich mache, das kann man auch ganz gut von zuhause machen.“

Während des ESAC in Madrid die europäischen Weltraummissionen wissenschaftlich betreut, ist das ESOC in Darmstadt für den reibungslosen Betrieb von Europas Satelliten und Raumsonden zuständig. Und dazu gehört es, den Kurs zu überwachen, auf dem sie fliegen. Das leistet auch hier derzeit eine Rumpfmannschaft. Normalerweise sind 900 Mitarbeiter am ESOC tätig, von denen in der Regel 700 täglich vor Ort sind. In diesen Tagen sind nur rund 25 Menschen präsent. „Das sind nicht immer die gleichen, sondern es sind die, die für die speziellen Missionen gerade gebraucht werden“, erklärt Rolf Densing.

Über die Erde zum Merkur

Während Satelliten quasi von selbst um die Erde kreisen, müssen die Ingenieure bei interplanetaren Sonden genauer hinschauen, bei solchen also, die auf komplizierten Bahnen im Sonnensystem unterwegs sind, zum Beispiel von einem Planeten zum nächsten, sagt Günther Hasinger vom ESAC.

So hat die ESA vor eineinhalb Jahren BepiColombo gestartet. Diese Sonde arbeitet sich langsam Richtung Merkur vor. Dabei fliegt sie immer wieder auch an anderen Himmelskörpern im Sonnensystem vorbei, um deren Gravitationswirkung auszunutzen. Diese Schwerkraft wirkt wie eine Schleuder, die die Raumsonde treibstoffsparend in Richtung ihres Ziels katapultiert.

BepiColombo fliegt an der Erde vorbei (künstlerische Darstellung)
ESA/ATG medialab
BepiColombo fliegt an der Erde vorbei (künstlerische Darstellung)

BepiColombo ist bisher einmal um die Sonne herumgeflogen und schleicht sich gerade von hinten langsam wieder an die Erde an. Die Sonde will diesmal die Gravitationskraft der Erde nutzen, um sich von ihr nach innen schleudern zu lassen, in Richtung Merkur. „Alle diese Bahnen sind so präzise wie möglich geplant“, erläutert Günther Hasinger. Und dennoch – wenn solch eine Bahn am Anfang auch nur ein Milliardstel Grad falsch liege, akkumuliere sich dieser Fehler im Laufe der Zeit.

Schlüsselloch Erde

In diesem Fall könnte er dazu führen, dass BepiColombo ohne Nachsteuerung so an der Erde vorbeifliegt, dass die Sonde zu weit ins Sonnensystem hinaus geschleudert wird, ohne jemals den Merkur zu erreichen. „Da geht es haarscharf zu“, betont Hasinger, „deswegen nennen wir das auch ‚Schlüssellöcher‘.“

Das erste „Schlüsselloch“ auf dem Weg zum Merkur wird Europas Raumsonde am frühen Karfreitagmorgen durchfliegen. „Es kommt darauf an, sie präzise durch dieses ‚Schlüsselloch‘ hindurch durchzuführen“, sagt Hasinger. „Darauf wird unser Augenmerk in den nächsten Tagen liegen.“

Für dieses bevorstehende Ereignis hatte die ESA vier andere Sonden eine Zeit lang unbeobachtet gelassen – zum Beispiel den Solar Orbiter, auf seinem Weg zur Sonne, und MarsExpress, der weiterhin seine Runden um den Roten Planeten dreht. „Da wir jetzt Priorität auf BepiColombo gelegt haben, haben wir uns mit den anderen Missionen erst einmal zurückgehalten“, formuliert es Hasinger. Das heißt: Ungefähr eine Woche lang sind keine Daten dieser Missionen auf der Erde eingetroffen.

Als wäre nichts gewesen

Aufgrund eines COVID-19-Falls am ESOC hatte das Zentrum einige Mitarbeiter nach Hause geschickt und entschieden, den Betrieb dieser vier Missionen zurückzufahren. „Jetzt kommen die Menschen allmählich aus der Quarantäne zurück, und wir fahren alles wieder hoch, als gäbe es kein Coronavirus“, ergänzt Rolf Densing. „Unsere Satelliten kriegen von Corona nichts mit.“ Solar Orbiter, MarsExpress und all die anderen sind immer noch da, wo sie auch wären, hätten Mitarbeiter der ESA ihnen dabei zugeschaut – so als wäre nichts gewesen. „Wir nehmen sie Stück für Stück wieder in Betrieb“, so Densing. Das funktioniere nicht wie bei einem Laptop, den man einschalte, sondern die Systeme würden nach und nach hochgefahren. „Da entsteht kein bleibender Schaden.“

Gelingt jetzt noch der Vorbeiflug der kostbaren Merkursonde BepiColombo an der Erde, dann ist Rolf Densing zuversichtlich, die Corona-Krise in der europäischen Raumfahrt bewältigt zu haben. „Ich kann heute sagen, dass alle unsere Satelliten und Sonden einwandfrei funktionieren.“ Er habe „ein gutes Gefühl“, dass alle Raumfahrzeuge in Sicherheit seien. Und was ihm noch mehr bedeute: „Ich habe auch ein gutes Gefühl, dass alle unsere Mitarbeiter in Sicherheit sind. Und beides zu gewährleisten, das würde ich als Erfolg bezeichnen.“