Euro liegen auf einem Formular zur Beantragung der Mindestsicherung
APA/BARBARA GINDL
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Gesellschaft

Arme sind mehr von der Krise betroffen

Die aktuelle Gesundheits- und Wirtschaftskrise, die das Coronavirus ausgelöst hat, wirkt sich nicht bei allen gleich aus. Menschen mit niedrigem Einkommen gelten Experten zufolge als besonders von der Krise betroffen: gesundheitlich wie wirtschaftlich.

Nach jetzigem Wissensstand laufen Menschen mit Vorerkrankungen und einem schwachen Immunsystem besonders Gefahr, dass eine Erkrankung durch das Coronavirus schwer verläuft. Und wie Studien immer wieder zeigen, sind chronische Erkrankungen und andere gesundheitliche Einschränkungen bei Menschen mit niedrigem Einkommen wesentlich häufiger als bei den Mittel- und Großverdienern.

Geringeres Einkommen, kürzeres Leben

Beispielsweise zeigen Erhebungen der Statistik Austria aus dem Jahr 2017, dass bei den Wenigverdienern im Alter zwischen 40 und 64 Jahren jeder Fünfte gesundheitlich beeinträchtigt ist. Im Vergleich dazu sind es bei jenen mit mittlerem Einkommen nur acht Prozent, bei Gutverdienern sogar nur vier Prozent. Auch sterben von Armut betroffene Menschen etwa zehn Jahre früher als der österreichische Durchschnitt, bei Wohnungslosen macht der Unterschied sogar 20 Jahre aus.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 8.4., 12.00 Uhr.

Experten sehen hier ein erhöhtes Risiko und fordern mehr Schutz. Zu ihnen gehört auch die Sozialwissenschaftlerin Karin Heitzmann von der Wirtschaftsuniversität Wien. „Das ist eine hochverletzliche Gruppe, auf die besonders Rücksicht genommen werden muss. Momentan ist mein Eindruck, dass man eher denkt, wie man Unternehmer unterstützen kann. Es gibt aber auch Gruppen, die nicht Unternehmer sind, sondern normale Haushalte, die auch einer besonderen Unterstützung bedürfen.“

Lange Arbeitslosigkeit führt zu Armut

Auch die stark gestiegene Arbeitslosigkeit spielt hier eine entscheidende Rolle. Wie Untersuchungen zeigen, ist eine anhaltende Arbeitslosigkeit oft der Einstieg in die Armut. Dauert die Arbeitslosigkeit zwischen sechs und elf Monate, rutscht bei jedem Dritten das Einkommen unter die Armutsgefährdungsschwelle. Ab einem Jahr ist sogar jeder Zweite armutsgefährdet, erläutert Heitzmann. Frauen sind hier stärker betroffen. Nicht zuletzt deshalb, weil Frauen weniger verdienen und daher auch niedrigere Sozialleistungen bekommen.

Der Sozialwissenschaftlerin zufolge brauchte es konkrete Gegenmaßnahmen, um Menschen vor einer möglichen langen Arbeitslosigkeit zu schützen. „Beispielsweise dass Betriebe besondere Anreize gesetzt bekommen, wenn sie benachteiligte Personen wieder einstellen. Das hat es jetzt schon gegeben, und das ist vielleicht etwas, was wir nach der Krise in größerem Ausmaß brauchen.“

Für die Dauer der Krise brauchte es wie bei den Unternehmen zudem einen Härtefonds, aus dem man beispielsweise unbürokratisch niedrige Arbeitslosengelder und andere Sozialleistungen aufzahlen kann, meint Heitzmann. Schon jetzt reichen Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe oft nicht. Das, so die Sozialwissenschaftlerin, erkenne man daran, „dass viele trotz dieser Versicherungsleistungen zugleich auf Zahlungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung bzw. der Sozialhilfe angewiesen sind“. Mindestens 42.000 Menschen haben 2018 im Durchschnitt zusätzlich zu einer AMS-Leistung auch eine Mindestsicherung bezogen.

Weitere akute Maßnahmen wären auch, die Verzugszinsen zu stoppen, damit sich Menschen nicht weiter verschulden. „Man könnte auch das Eintreiben von Schulden durch Inkassobüros jetzt einfach aussetzen. Da gibt es kleinere Maßnahmen, die man jetzt in der Corona-Krise setzen kann.“

Kinder in Armut

Besonders hart könnte die Krise Kinder aus sozial benachteiligten Haushalten treffen, die teilweise in zu kleinen Wohnungen leben. „58 Prozent der Familien mit Kindern, in denen bedarfsorientierte Mindestsicherung bezogen wird, haben in Österreich zu wenig Platz. In diesen Wohnungen herrscht Überbelag. Das heißt, dass auf die Quadratmeter bezogen zu viele Leute leben.“ Betroffen davon sind in Österreich knapp 50.000 Menschen, wie ein Bericht der Statistik Austria aus dem Jahr 2019 zeigt.

Gibt es nicht ausreichend Platz, keinen guten Laptop und keine ausreichende Internetverbindung, funktioniert der Unterricht zu Hause aber nur eingeschränkt. Manche Lehrer und Lehrerinnen erreichen einen Teil ihrer Schüler nicht. Je länger die Situation dauert, desto mehr drohen hier vor allem ohnehin benachteiligte Kinder zurückzufallen. Um dem gegenzusteuern, müsse, so Heitzmann, erstens darauf geachtet werden, dass Kinder die notwendige (technische) Ausrüstung zur Verfügung haben, um die Aufgaben lösen zu können. „Zweitens muss viel stärker dafür geworben werden, dass speziell Kinder aus benachteiligten Familien die Schule besuchen können und dort auch schulisch ein Stück weit mitbetreut werden.“ Wichtig sei auch, dass Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen weiter aktiv Familien besuchen und Unterstützung anbieten.

Langfristig: Kosten fair verteilen

Auf lange Sicht gehe es darum, darauf zu achten, dass die Kosten der Krise gerecht verteilt werden. „Aus früheren Krisen wissen wir bereits, dass dann oft die Verteilung noch ungleicher wird, als sie vor der Krise gewesen ist. Das ist auch etwas, das durch politische Maßnahmen hintangehalten werden kann“, erklärt Sozialwissenschaftlerin Heitzmann.