ERC-Chef aus Enttäuschung zurückgetreten

Der Präsident des Europäischen Forschungsrates (ERC), Mauro Ferrari, ist zurückgetreten. Er begründete seinen Rücktritt mit seiner Enttäuschung wegen Europas Reaktion auf die Coronavirus-Pandemie. Die einstige ERC-Chefin Helga Nowotny sieht ein „tragisches Ende“, das sich aber aber schon abgezeichnet habe.

Maura Ferrari, Experte auf dem Gebiet der Nanomedizin, reichte seine Kündigung am Dienstagnachmittag bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein. Er konnte zuvor die Brüsseler Behörde nicht überzeugen, ein umfangreiches wissenschaftliches Programm zur Bekämpfung der Epidemie auf die Beine zu stellen, berichtete die Tageszeitung „Financial Times“. Von der Leyen hatte für Dienstag eine Pressekonferenz zur Vorstellung der Strategie der EU gegen die sanitäre Krise ausgerufen, der Termin wurde jedoch kurzfristig abgesagt.

„War überzeugter EU-Befürworter“

„Ich hatte die Führung des ERC als überzeugter EU-Befürworter übernommen. Doch wegen der Covid-19-Krise habe ich meine Meinung komplett geändert, auch wenn ich nach wie vor mit Enthusiasmus die Idee der internationalen Zusammenarbeit unterstütze“, sagte Ferrari im Interview mit der Tageszeitung „Financial Times“.

Ferrari, der erst seit Anfang Jänner den Posten bekleidete, hätte vier Jahre als ERC-Präsident im Amt bleiben sollen. Die EU-Kommission hatte für den ERC eine erhebliche Aufstockung des Budgets von 13,1 Mrd. Euro im Zeitraum 2014-2020 auf 16,6 Mrd. Euro für den Zeitraum 2021-2027 vorgeschlagen.

Helga Nowotny sieht „tragisches Ende“

Den Rücktritt von Ferrari bezeichnete die einstige ERC-Chefin Helga Nowotny in einer ersten Reaktion „als tragisches Ende“. Nichtsdestotrotz habe sich das nun im Zuge der Corona-Krise eskalierte Zerwürfnis schon etwas länger angekündigt, so die Wissenschaftsforscherin.

Ferraris Vorschlag eines eigenen Förderprogramms zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie hätte eine „völlige Umorientierung“ für den europäischen Forschungsrat bedeutet. „Man kann aber keine Institution, die auch rechtliche Grundlagen hat, von einem Tag auf den anderen umpolen“, so Nowotny.

Ferraris Pläne hätten vorgesehen, den ERC „als große Koordinationsagentur für die ganze Union“ aufzustellen, was sich so nicht umsetzen ließe, sagte die Wissenschaftsforscherin, die den ERC von 2010 bis 2013 als Präsidentin leitete.

„Zu wenig Zeit in Brüssel“

Dass der Wissenschafter und Unternehmer auch nach seinem Amtsantritt vor erst etwas mehr als drei Monaten viel Zeit in den USA verbracht habe, wo er vielfältig engagiert ist, habe auch zu dem Eindruck beim Scientific Board des ERC beigetragen, „dass er zu wenig Zeit in Brüssel verbringt. Das hat sich also angekündigt. Es tut mir leid für ihn, es war aber auch eine Fehleinschätzung der Möglichkeiten seinerseits“, so Nowotny.

Abseits von Ferraris Vorstoß zur Corona-Krise laufen zur Zeit bereits rund 40 ERC-geförderte Projekte, die in diesem Bereich angesiedelt sind. „Man kann bei der Grundlagenforschung auch nicht auf einen Knopf drücken und sagen: Morgen lieferst du mir Ergebnisse“, so Nowotny. Auch in anderen Bereichen der Forschungsförderung habe sich in Folge des Corona-Ausbruchs auf Initiative der EU-Innovationskommissarin Marija Gabriel vieles bewegt.