Hände werden desinfiziert mit türkischem Kölnisch Wasser
mehmet – stock.adobe.com
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Forscherinnenalltag

Zwischen Dissertation und Kölnisch Wasser

Als Soziologin beschäftigt sich Faime Alpagu mit türkischen Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern. Als kurdischstämmige Österreicherin verfolgt sie dieser Tage auch genau, was in ihrer Heimat passiert. Offensichtlich setzt man dort auf Kölnisch Wasser zur Desinfektion, ganz Istanbul soll danach riechen.

Faime Alpagu
IFK

Faime Alpagu ist Soziologin. Sie schreibt gerade an ihrer Dissertation über „GastarbeiterInnen“ aus der Türkei und ist derzeit Junior Fellow am IFK – Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften.

Vor der Homeoffice-Regelung war ich jeden Tag im Büro. Ich habe gearbeitet, mich mit Kollegen und Kolleginnen persönlich ausgetauscht und war gestresst wegen der Dissertation. Ich hatte eine schöne Routine. Mit der Homeoffice Regelung kann ich zwar weiterhin an meiner Dissertation schreiben. Ich habe aber Schuldgefühle, dass diese Ruhe mir erstmal guttut. Dann stoße ich auf den Text von Tilman Rammstedt. Er schreibt „Auf einmal bekommen wir Angst, das Virus womöglich doch schneller in den Griff zu bekommen als gedacht. Manchmal, ganz leise, vermissen wir ihn schon.“ Bin erleichtert, dass jemand meine Gedanken teilt. Die Schuldgefühle werden weniger.

Ausgangssperre für 65+

Die ersten Tage verbringe ich damit die österreichischen und türkischen Medien zu verfolgen, zu „whatssappen“ und zu telefonieren. Ich versuche zu verstehen, was los ist – wie alle anderen, merke ich. Ich telefoniere mit meiner Schwester in der Türkei. Sie macht sich Sorgen um mich und ich mir um sie. Laut türkischen Medien hat Europa die Corona-Krise gar nicht im Griff. Ich versichere ihr, dass es mir gut geht. Die türkischen Medien berichten über die staatlichen Maßnahmen. Schulen, Universitäten, Moscheen usw. sind geschlossen. Und alle Personen im Alter 65+ bekommen gratis Kölnisch Wasser und eine Maske. Meine Schwester fragt, ob ich Kölnisch Wasser habe. Habe ich nicht.

Danach wird in der Türkei eine Ausgangssperre für Menschen im Alter von 65+ festgelegt. Viele sind verärgert über sie, weil sie sich angeblich nicht an die Regeln halten. Den Frust an den Vulnerablen auszulassen, funktioniert immer gut. Die Mehrheit der jüngeren Generation muss aber arbeiten. Eine Freundin, die arbeiten muss, schreibt „Die Busse sind bummvoll.“

Der Präsident der hohen Rundfunk- und Fernsehrat – RTÜK bedankt sich bei den MitarbeiterInnen der türkischen Serien, die Opfer bringen, weil die Serien die Bevölkerung entspannen. Dreharbeiten mit bis zu hundert Personen laufen ohne Pause. RTÜK kontrolliert, dass im Fernseher Rauchen, Alkohol und intime Szenen nicht gezeigt werden. Viren kann man nicht sehen. Wichtig ist, dass 65+ zu Hause bleibt. Eine Filmkritikerin hat schon eine Idee für einen Post-Corona-Film: Serienkiller, der 65+ verfolgt. Die ältere Bevölkerung ist nun der Retter und die Gefahr der türkischen Gesellschaft.

Mangel an Kölnisch Wasser

Sebastian Kurz ist fast täglich live zu sehen. Er setzt auf Angst: "Krise wird für viele Menschen Krankheit, Leid und für einige auch den Tod bedeuten.“ Er verweist immer wieder auf Italien und gibt dramatische Beispiele des Leides. Das macht er gerne. Zur Flüchtlingsbewegung in 2015 hatte er gesagt: „Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen.“

Der ORF veröffentlicht wichtige Informationen über das Coronavirus in mehreren Sprachen, auch auf Türkisch. Mit Untertitel. Gute Aktion, sehr gut gemeint. Ich frage mich, ob jemand das Video anschaut. Eine Sendung mit Untertitel für eine Bevölkerungsgruppe, die bildungsbenachteiligt ist, sogar eine hohe Zahl an Analphabeten hat. Die gute Nachricht ist: Jene, die den ORF anschauen, können schon Deutsch. Die andere gute Nachricht ist, es herrscht Mangel an Kölnisch Wasser in den türkischen Supermärkten. Menschen haben sich bereits in den türkischen Medien informiert. Nun bin ich erleichtert. Ich kann an meiner Dissertation weiterarbeiten.

Alter statt neuer Rassismus

Dann erfahre ich zu meiner Überraschung, dass die Stadt Istanbul ein Video über Schutzmaßnahmen gegen Corona auf Kurdisch gemacht hat. In gesprochener Sprache. Eine niederschwellige Aktion. Gute Aktion. Soweit ich weiß, passiert das zum ersten Mal. Dann lese ich in den Sozialen Medien rassistische Kommentare über diese Aktion. In der Türkei gäbe es nur TürkInnen und nur eine Sprache; Türkisch. Ich bin erleichtert. Zumindest da herrscht eine Normalität. Rassismus wendet sich wieder an seinen gewohnten Adressaten.

Bis vor kurzem waren es eher die Flüchtlinge. Als Reaktion hatte eine Musikgruppe der Flüchtlinge ein Lied geschrieben. Sie singen: „Wir entschuldigen uns, dass wir auf Ihren Plätzen, Straßen und Gassen Bettler geworden sind. Wir entschuldigen uns, dass wir an Ihren Arbeitsplätzen, Werkstätten und Felder illegale Arbeiter geworden sind. Wir entschuldigen uns, dass unsere Leichen auf Ihre Ufer und Strände geschleudert wurden.“ Jetzt redet fast niemand mehr über sie. Weder in Österreich noch in der Türkei. Ich sehe wenige Berichterstattung über sie. Ich frage mich, was die Flüchtlinge in den Lagern denken. Was macht ihnen mehr Angst? Corona oder die Lebensbedingungen im Lager? Welche anderen Sorgen haben sie, die wir uns nicht vorstellen können? Haben sie noch Vertrauen in Menschen, in Institutionen oder in den Staat?

Verzicht auf Käse und Parks

Ich gehe einkaufen. Viele Regale sind leer. Menschen kaufen ein. Viel und schnell. Meine Lieblingskäsesorte gibt es nicht mehr. Ich erinnere mich an das kleine kurdische Mädchen am Westbahnhof, für das ich damals gedolmetscht habe. Das Mädchen brauchte Kleidung. Ich bin mit ihr zum Kleiderlager gegangen. Ich reichte ihr ein paar braune Schuhe. Sie wirkte bedrückt. Ich fragte „Was ist denn los?“ Sie sagte „Diese sind für Jungs“. Es war ruhig im Lager. Sie hat dann sich selbst Kleidung und Schuhe ausgesucht. Alles in Rosa. Sie sah sehr glücklich aus. Ich entscheide mich keinen Käse zu kaufen. Ich bin nicht bereit, was anderes zu essen.

Viele Postings über Aktivitäten für Zuhause in den Sozialen Medien. Es ermüdet mich. Ich gehe spazieren. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Stadt leer geworden ist. Der Augarten ist versperrt und die Leute machen um ihn herum einen Spaziergang. Das Schild, das über die Sperre informiert, hängt verkehrt herum. Ich bücke mich und versuche es zu lesen. Ein Mann nähert sich. Näher als einen Meter und sagt „Sie haben einfach zugesperrt!“ Er ist empört. Ich gehe weiter. Der Gehsteig um den Augarten herum ist eindeutig zu eng für so viele Menschen. Für einen Spaziergang muss ich einen anderen Ort finden.

Kölnisch Wasser und Klatschen

Am vierten Tag der Ausgangsbeschränkungen meldet sich meine Pollenallergie. Zu früh. Ich mache mir Sorgen. Gehöre ich nun auch der Risikogruppe an, weil ich damit manchmal Atembeschwerden habe? Ich fühlte mich bis letzte Woche schwach und etwas krank. „Vielleicht habe ich Corona schon hinter mir“, schreibe ich einer Freundin. Sie schreibt „Es wäre eigentlich besser für dich“. Ja, ich wäre nun immun. Ich entscheide mich zuhause zu bleiben. Die Fenster zu schließen. Ich putze die Wohnung gründlich. Viele meiner Freunde aus unterschiedlichen Ländern melden sich mit Putzaktionen. Eine Freundin in Istanbul schreibt „Die Stadt riecht nach Kölnisch Wasser“. Die Vorstellung eines nach Kölnisch Wasser riechenden Istanbul gefällt mir.

Am fünften Tag höre ich um 18 Uhr Klatschen. Im Vergleich zu den ersten Versuchen sind sie dieses Mal etwas lauter. Ich öffne das Fenster und sehe einige Leute klatschen. Ich tue mir schwer mitzumachen. Ich schaue und beobachte und denke. Dann ganz zögerlich klatsche ich mit, eher leise, langsam etwas lauter. Nur Nachbarn und Nachbarinnen im Haus gegenüber können sehen, dass ich mitmache. Hören kann es nur ich. Wien kann nicht laut sein. Ich auch nicht. Ich mache das Fenster zu, drehe die Musik lauter und versuche, an meiner Dissertation weiterzuschreiben.