Eine Frau blickt mit ihrem Hund lächelnd aus einem Balkon während der Coronakrise in Italien
AP – Alessandra Tarantino
AP – Alessandra Tarantino
Covid-19

Wie geht es der Psyche?

Homeoffice, Homeschooling, Arbeitslosigkeit, fehlende Nähe: Die Coronavirus-Krise ist für alle eine Herausforderung, wenngleich für jede und jeden anders. Wie Menschen in Österreich damit umgehen und wie es um die psychische Befindlichkeit steht, wird aktuell untersucht.

Seit einigen Tagen laufen die Leitungen bei den Sorgentelefonen heiß. Während Rat auf Draht um 30 Prozent mehr Anrufe meldet, ist der Zuwachs bei der Frauenhelpline 50 bis 70 Prozent. Erste Stichwortanalysen auf Twitter zeigen zudem, dass in den öffentlichen Postings mehr Ängstlichkeit erkennbar war, nachdem hierzulande der erste Patient an Covid-19 gestorben ist. Es gibt aber auch Hinweise auf eine höhere Hilfsbereitschaft, erklärt der Sozialmediziner Thomas Niederkrotenthaler von der Medizinischen Universität Wien, der hinter diesen Analysen steckt. „Wir sehen zwar, dass es hier Änderungen gibt, die vielleicht was mit Angst, Ärger oder einem gesteigerten prosozialem Verhalten zu tun haben. Ob sich das jetzt tatsächlich verändert hat, wissen wir aber erst, wenn wir die Menschen fragen.“

Projekt

Das Forschungsprojekt ist eines von insgesamt 24 Forschungsprojekten, die vom WWTF gefördert werden.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 16.4., 8:00 Uhr.

Ab jetzt werden Niederkrotenthaler und sein Team alle zwei bis vier Wochen jeweils 1.000 Österreicherinnen und Österreicher befragen (immer andere), die in Summe die vielseitige Bevölkerung hierzulande widerspiegeln sollen. Es werden also Junge bis Alte, psychisch sowie körperlich Kranke und Gesunde, Menschen, die allein in der Stadt leben oder mit ihrer Familie in einem Haus im Grünen wohnen, Reiche bis Arme befragt. „Uns ist es wichtig, hier wirklich repräsentativ zu erheben, wer denn wie betroffen ist. Damit können wir zeigen, wie sich die psychische Befindlichkeit in der Bevölkerung bzw. den unterschiedlichen Gruppen im Laufe verändert, auch durch die Maßnahmen, die gesetzt werden.“

„Alle reagieren unterschiedlich auf Krisen“

Möglichkeiten, wie Menschen mit der Krise umgehen, gibt es viele. Das sei grundsätzlich unabhängig davon, ob jemand aktuell an einer psychischen Erkrankung leidet oder nicht. „Wir wissen, dass sich manche mit Depressionen aktuell gut mit Wochenkäufen und so ablenken können, andere kippen weiter in die Depression hinein und sehen keinen Ausweg mehr, auch wenn sich die Epidemiologie positiv entwickelt." Manche, die Probleme haben, hinauszugehen und Leute zu treffen, fühlen sich jetzt teilweise sogar temporär besser, weil das Hinausgehen für alle beschränkt ist. Genaueres sollen die Befragungen in den nächsten Wochen und Monaten zeigen.

Parallel dazu beobachtet das Forschungsteam, wie viele Menschen bei den Sorgentelefonen anrufen oder Hilfe bei Frauenhäusern und anderen psychosozialen Einrichtungen suchen. „Wir wollen dadurch besser verstehen, wie die psychische Befindlichkeit der Bevölkerung und das tatsächliche Nutzungsverhalten von solchen Hilfeleistungen zusammenhängen.“

In einem dritten Schritt durchforsten die Forscher und Forscherinnen die öffentlichen Postings auf Twitter und Co. weiter nach verschiedenen Stichworten wie beispielsweise „fürchten“, „Angst“ oder „ratlos“. Verglichen mit den Ergebnissen aus den Befragungen und Hilfseinrichtungen wollen sie dadurch herausfinden, ob man in Sozialen Medien tatsächlich ablesen könnte, wie sehr die psychische Belastung in der Bevölkerung steigt. „Das Ziel wäre, dass wir in Zukunft mit sozialen Mediendaten vorhersagen können, ähnlich einem Lawinenwarndienst, dass beispielsweise in einigen Wochen bzw. Tagen so und so viel Bedarf an psychosozialer Unterstützung durch Hilfseinrichtungen besteht. Das soll dann eine Basis sein, um besser planen zu können, wie denn diese Unterstützung aussehen kann.“

Psychosoziale Unterstützung „gut gestartet“

Aktuell haben die meisten Hilfszentren und Organisationen richtig reagiert. Viele haben erfolgreich auf Online- und Telefonberatung umgestellt und sich so organisiert, dass sie die das Mehr an Anfragen bearbeiten können. Auch gibt es seit Kurzem unter der Nummer 0720 12 00 12 eine zusätzliche Psychotherapie Helpline. Auch der Berufsverband Österreichischer PsychologInnen hat mit Ostermontag seine Telefon- und Onlinehilfe für die nächsten drei Monate ausgebaut.

Wo notwendig, ist es nach wie vor möglich, die Behandlung über direkten Kontakt durchzuführen. Für die Zeit der Coronakrise können Psychotherapeuten und Psychologen Patienten aber auch über Skype, Videokonferenz und Telefon betreuen. „Dass es hier eine Beratung über Skype auf Krankenschein gibt, ist sehr wichtig und kann sich sehr positiv auswirken. Generell denke ich, dass der Start in diese Krise gut gemacht ist.“

Höhepunkt psychischer Krise verzögert

Der Höhepunkt wird aber noch lange nicht erreicht sein, erklärt Niederkrotenthaler. Wie man von Wirtschaftskrisen und Umweltkatastrophen weiß, steigt die psychische Belastung vor allem dann, wenn das Gröbste überwunden ist, das gewohnte Leben wieder in Gang kommt und die staatlichen und gesellschaftlichen Unterstützungen verringert werden, erläutert der Sozialmediziner. „Auch hier ist die Gefahr groß, dass die psychosoziale Unterstützung zurückgefahren wird, wenn die Infektionszahlen langfristig sinken. Damit ist zu erwarten, dass es einen besonderen Ansturm auf die Angebote gibt. Das Projekt soll hier einen Beitrag dazu leisten, das rechtzeitig zu erkennen.“

Der Sozialmediziner appelliert auch an die Einzelnen, soziale Kontakte und die Hilfsbereitschaft lange aufrecht zu erhalten – vor allem mit Menschen, die an einer psychischen Erkrankung leiden oder die aufgrund von finanziellen Notständen und Arbeitslosigkeit nicht einfach wieder in das gewohnte Leben zurückkehren können. „Wo notwendig, muss man diese sozialen Kontakte auch ausbauen, um anderen zu helfen, sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Das ist besonders schwierig, wenn man von einer psychischen Erkrankung betroffen ist.“

Aktuell sei es wichtig, den Tag zu strukturieren, regelmäßig Sport zu machen und den Medienkonsum auf ein, zweimal pro Tag zu begrenzen, meint Niederkrotenthaler. „Über Medien können zum Teil Ängste ausgelöst werden, weshalb es wichtig ist, sich bewusst mit der Berichterstattung auseinanderzusetzen, aber nicht die ganze Zeit.“ Auch hier können Angehörige, Freunde und Nachbarn einander helfen, indem sie in Kontakt bleiben.