Streunender Hund auf einer leeren Straße in Shanghai
REUTERS/Aly Song
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Hypothese

Streunende Hunde als Überträger

Fledermäuse gelten als ursprünglicher Wirt des neuen Coronavirus. Umstritten ist hingegen, über welchen Zwischenwirt es letztlich beim Menschen gelandet ist. Forscher präsentieren nun eine weitere Hypothese: Streunende Hunde könnten die Überträger gewesen sein.

Schon bald nach dem Auftauchen von SARS-CoV-2 war klar, dass der Erreger Virusstämmen in wilden Fledermäusen sehr ähnelt. Aber diese verwandten tierischen Coronaviren können nur schlecht an menschliche Zellen andocken. Daher geht man davon aus, dass es einen weiteren Zwischenwirt gegeben haben muss, in dem sich das Virus so verändert hat, dass es auch für Menschen zur Gefahr wurde. Als mögliche Kandidaten wurden bereits einige Tiere gehandelt, etwa Schlangen und Schuppentiere. Bei letzteren war der Erreger zwar mit menschlichen Zellen kompatibler, aber als Zwischenwirt scheiden sie laut Experten dennoch aus.

Schuppentier in Malaysia
AFP – JIMIN LAI
Schuppentier

Ähnlich sehen das auch die Autoren der aktuellen Studie. Laut dem Team um Xuhua Xia von der University Ottawa sind die molekularbiologischen Unterschiede der Viren zu groß. Xia ist Experte für die molekularen Wechselwirkungen zwischen Viren und ihren Wirten.

Für die nun in „Molecular Biology and Evolution“ erschienene Untersuchung haben die Forscherinnen und Forscher das Genom von mehr als 1.200 Coronaviren untersucht und dabei eine wichtige Ähnlichkeit zwischen SARS-CoV-2 und seinem nächsten bekannten Verwandten, dem Fledermaus-Virus BatCoV RaTG13, entdeckt, nämlich die Art und Weise, wie sie der tierischen bzw. menschlichen Abwehr entgehen können: Das Genom der Viren hat nur sehr wenig Angriffspunkte für ein bestimmtes antivirales Protein, das für die Immunabwehr vieler Säugetiere wie auch des Menschen zentral ist. So können sich die Eindringlinge im Wirtskörper mehr oder weniger unbemerkt vermehren. Diese Eigenschaft hätte man bereits feststellen können, als das Fledermausvirus 2013 erstmals gesampelt wurde. Leider habe man es erst nach Ausbruch der Coronavirus-Pandemie in Wuhan sequenziert.

Angriffspunkt Verdauung

Auch das MERS-Virus, das von Kamelen auf den Menschen übergesprungen, trickst auf ähnliche Weise das Immunsystem aus. Wie Xias Team berichtet, können das Viren, die das Verdauungssystem befallen, besonders gut; besser als jene in den Atemwegen. Auf der Suche nach weiteren tierischen Viren, die dem Abwehrsystem auf diese Weise entgehen und vor allem den Verdauungsapparat betreffen, sind die Studienautoren auf Coronaviren gestoßen, die in den Gedärmen von Hunden leben. Sie können bei den Tieren eine hochansteckende Krankheit auslösen.

Wenn es darum geht, die Immunabwehr des Wirts zu umgehen, seien die Hundeviren SARS-CoV-2 ähnlicher als alle anderen bekannten Coronaviren. Die Hundegedärme könnten – zumindest theoretisch – der Ort gewesen sein, wo das Virus die entscheidende Veränderung durchlaufen hat.

Straßenhund in Peking wühlt in einem Mistkübel
REUTERS/Kim Kyung Hoon
Straßenhund in Peking

Dass das Verdauungssystem ein Hauptziel von Coronaviren ist, zeige auch der Umstand, dass die zellulären Rezeptoren für SARS-CoV-2 beim Menschen zu einem großen Teil im Dünndarm und im Zwölffingerdarm gebildet werden. Zudem habe ein hoher Prozentsatz der Covid-19-Patientinnen und -Patienten auch entsprechende Beschwerden, z.B. Durchfall. Vieles spreche jedenfalls dafür, dass sich der Vorgänger von SARS-CoV-2 in den Gedärmen von Hunden weiter entwickelt haben könnte. Deren Gewohnheit, sich am After zu lecken, könnte außerdem dazu beigetragen haben, dass die Viren aus dem Darm auch die Atemwege befallen haben.

Laut Xia et al. könnten streunende Hunde Fledermaus-Fleisch gefressen haben. Im Darm der Vierbeiner sei der Selektionsdruck hoch gewesen. Dort habe sich – im Wechselspiel zwischen Virus und Wirt – die Fähigkeit, dem Immunsystem zu entgehen, rasch weiter verbessert. So wurde daraus letztlich eine ernsthafte Bedrohung für den Menschen.

Suche geht weiter

Wie die Forscher betonen, sei das vorerst nur ein theoretisches Szenario. Denn noch habe man keinen entsprechenden viralen Vorgänger bei streunenden Hunden entdeckt. Die genetischen Veränderungen können genauso gut in den Verdauungsorganen eines anderen Säugetiers passiert sein. Vielleicht werde man erst in einigen Jahren wissen, welches Tier tatsächlich der letzte Zwischenwirt war, auch weil es vermutlich nur sehr wenige Träger gibt. Viele Experten gehen heute sogar davon aus, dass das Virus nur ein einziges Mal von einem Tier auf den Menschen übergesprungen ist, wahrscheinlich am Huanan Seafood Market in Wuhan.

Tote Fledermäuse auf einem Wildtiermarkt in Indonesien
UC Davis
Markt mit Wildtieren

Die aktuellen Ergebnisse seien zudem kein Aufruf, gewaltsam gegen Streuner vorzugehen, so Xia: „Wenn jemand beschließt, streunende Hunde zu töten, entgeht uns eine Möglichkeit, die virale Vielfalt in den Tieren zu untersuchen. Und die Brutalität wäre völlig ungerechtfertigt.“ Laut dem Forscher wäre es aus mehreren Gründen nützlich, den Zwischenwirt zu finden. Erstens könnte man sich von den Tieren fernhalten. Zweitens könnte man die Koevolution von Wirt und Erreger besser nachvollziehen – beim Auftauchen neuer Pathogene wäre das sehr hilfreich. Drittens könnte man die Immunabwehr des Wirtstiers untersuchen und daraus lernen, denn mit ziemlicher Sicherheit war es nicht sichtbar krank.