Wann Beatmung sinnvoll ist

Weltweit bemühen sich Regierungen, möglichst viele Beatmungsgeräte zu beschaffen, um schwer am Coronavirus Erkrankte zu retten. Doch inzwischen ist eine Debatte entbrannt, wann eine künstliche Beatmung sinnvoll ist. Viele Ärzte plädieren dafür, nicht zu früh damit zu beginnen.

Noch gibt es sehr wenige Daten zur Beatmung von am Coronavirus Erkrankten und erst recht keine Studien nach wissenschaftlichen Standards. Außerdem lässt sich nicht feststellen, ob ein Patient wegen oder trotz künstlicher Beatmung gestorben ist. Aber immer mehr Ärzte beobachten, dass sich der Zustand von Covid-19-Patienten rasch verschlechtert, sobald ihnen Schläuche in die Luftröhre geschoben und sie an ein Beratungsgerät angeschlossen wurden. Krankenhäuser in den USA versuchen deshalb seit einigen Wochen, die Beatmung so lange wie möglich hinauszuzögern.

Die ersten Warnungen kamen aus Italien, wo der größte Teil der beatmeten Patienten starb. Auch die Zahlen aus Großbritannien und dem US-Bundesstaat New York sind alarmierend: Dort starben nach Angaben von Gouverneur Andrew Cuomo 80 Prozent der intubierten Patienten. Viele der Verstorbenen waren ein bis zwei Wochen auf der Intensivstation behandelt und in ein künstliches Koma versetzt worden, wodurch ihre Muskeln schwanden.

Später Intubieren

Zu Beginn der Pandemie wurden Covid-19-Patienten mit Atemnot nach den Maßgaben für die Therapie des akuten Atemnotsyndroms (ARDS) behandelt, das zum Beispiel durch eine Lungenentzündung oder einen Unfall ausgelöst werden kann. ARDS bedeutet, dass die Lunge nicht mehr genügend Sauerstoff aufnehmen kann, um die anderen Organe damit zu versorgen. In der Regel werden diese Patienten sehr rasch beatmet, und genauso verfuhren die Ärzte anfangs bei der vom Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19.

Doch nach und nach beobachteten die Mediziner, dass die Atemschwierigkeiten bei Corona-Kranken nicht oder zumindest nicht in allen Fällen mit denen bei ARDS zu vergleichen sind. Die Lunge ist bei Covid-19 nicht in gleicher Weise geschädigt. Der Arzt Luciano Gattinoni und seine Kollegen in Mailand beschrieben Ende März in der Zeitschrift „American Thoracic Society“, wie sie ihr Vorgehen angepasst haben. Demnach versuchen sie nun, später zu intubieren und mit geringerem Druck. „Wir müssen geduldig sein“, schrieben die Mediziner.

Auch der US-Lungenspezialist Kevin Wilson empfiehlt Zurückhaltung bei der künstlichen Beatmung. „Wir zögern sie so lange wir können hinaus, aber nicht so lange, dass es zu einem Notfall wird“, sagt der Experte von der Universität Boston.

Richtlinien überarbeiten

Die Ärzte stellten fest, dass Patienten mit sehr niedrigem Blutsauerstoffwert, die normalerweise beatmet würden, bei Covid-19 auch ohne Intubation auskamen. Statt die Menschen direkt an das Beatmungsgerät anzuschließen, wenden die Ärzte deshalb weniger invasive Methoden an. Zum Beispiel führen sie Sauerstoff über Nasenkanülen oder Beatmungsmasken zu oder legen den Patienten auf den Bauch, was die Lungen ebenfalls unterstützt.

Die meisten der neuen Ansätze kommen aus New York, wo mehr als 10.000 Menschen an dem Coronavirus gestorben sind. „Wir versuchen ein bisschen länger mit der Beatmung zu warten oder sie ganz zu vermeiden“, sagt Daniel Griffin, der die Abteilung für Infektionskrankheiten des New Yorker Ärztenetzwerks ProHEALTH leitet. „Solange die Patienten in Ordnung scheinen, tolerieren wir eine relativ niedrige Sauerstoffsättigung“, sagt Griffin. Manche erholten sich ohne künstliche Beatmung. Kommt das Beatmungsgerät doch zum Einsatz, werde der Druck verringert.

Medizinische Fachgesellschaften versuchen gerade aufgrund der jüngsten Erfahrungen, Richtlinien für die Behandlung von Covid-19-Patienten auszuarbeiten. Eine endgültige Antwort auf die Frage nach der besten Versorgung gibt es jedoch noch nicht. „Wir lernen bei der Arbeit“, sagt Lungenspezialist Wilson.

Gutes Monitoring

Laut Ansicht von deutschen Experten löst eine künstliche Beatmung nicht grundsätzlich bleibende Gesundheitsschäden an der Lunge aus. „Wir haben keine Daten, die nahelegen, dass es tatsächlich einen dauerhaften Schaden zur Folge hat“, sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), Michael Pfeifer, am Freitag. Zwar gebe es Patienten, bei denen beispielsweise der Heilungsprozess nach einer künstlichen Beatmung länger dauere. „Aber ob das dauerhaft ist, werden wir erst in einigen Monaten sehen.“

Ein gutes Monitoring der Kranken sei wichtig, da die Situation in wenigen Stunden so eskalieren könne, dass eine intensivmedizinische Behandlung notwendig sei. Zudem sei es entscheidend, den richtigen Zeitpunkt für eine invasive Beatmung mit Intubation und künstlichem Koma zu finden. Beginne die Beatmung zu spät, hätten die Patienten eine höhere Sterblichkeit. Allerdings sollte auch erst dann intubiert werden, wenn es Anzeichen dafür gebe, dass der Organismus nicht mehr von alleine in der Lage sei, die Funktionen der Lunge und des Gasaustauschs aufrecht zu erhalten.