NMR-Zentrum, Uni Wien
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NMR-Zentrum, Uni Wien
Messlabor

Wenn sich Geräte nicht abschalten lassen

In der Experimentalforschung ist ein kompletter Stillstand oft nicht möglich. Denn manche Geräte lassen sich gar nicht abschalten, schreibt Hanspeter Kählig. Welche Probleme und Hindernisse sich dadurch in Zeiten von Homeoffice auftun, beschreibt der Chemiker in einem Gastbeitrag.

Hanspeter Kählig bedient Geräte am NMR-Zentrum
NMR-Zentrum, Uni Wien

Hanspeter Kählig ist Leiter des NMR-Zentrums Fakultät für Chemie, Universität Wien

Was tun, wenn Sie ein Gerät nicht abschalten können? Zugegeben, das ist keine alltägliche Frage. Aber den bisher gelebten Alltag gibt es mit Covid-19 ohnehin nicht mehr. Auf der Universität Wien ist aktuell die Präsenzlehre und auch die Forschung vor Ort ausgesetzt, nur mehr 100 Prozent E-Learning und Homeoffice sind möglich. Ein kompletter Shutdown der Experimentalforschung? Nicht ganz.

Es gibt Geräte, die weiter betrieben werden müssen, so z.B. im NMR-Zentrum auf der Fakultät für Chemie. Normalerweise werden hier Atomkerne mit Radiofrequenzfeldern in einem sehr starken Magnetfeld angeregt, um Informationen über die chemische Struktur von Molekülen, über ihre Wechselwirkung mit anderen Molekülen oder über dynamische Prozesse zu erhalten. Pro Woche werden üblicherweise mehr als 1.000 Experimente durchgeführt.

Die dazu verwendeten Magneten sind Tieftemperatursupraleiter, einfach gesagt eine Spule gewickelt aus einem Draht ohne Ohmschen Widerstand und das bei einer Temperatur von -269 °C, der Temperatur von flüssigem Helium. Bei der Erstinstallation werden diese Magneten eingekühlt und geladen und sind dann Jahrzehnte lang betriebsbereit, vorausgesetzt die Kühlung bleibt aufrecht.

Kühlen von Zuhause?

Und das ist das Problem bei Homeoffice: Wie erhält man die Kühlung eines supraleitenden Magneten aufrecht? Also besser doch einfach ausschalten oder Stecker ziehen? Das geht aber nicht, diese Magneten haben keinen Schalter oder Stromanschluss. Möglich wäre, diese Magneten kontrolliert zu entladen. Nach Covid-19, und diesen Augenblick können wir alle sehnlichst kaum erwarten, müsste man sie dann wieder „Einschalten“, also erneut Laden.

Hier wird Helium nachgefüllt
NMR-Zentrum, Uni Wien
Hier wird am NMR-Zentrum Helium eingefüllt

Vorausgesetzt das funktioniert einwandfrei, wofür es absolut keine Garantie gibt, bedeutet das, abgesehen von zwei bis drei Wochen Installation und weiteren ca. sechs Wochen bis die Magneten stabil sind, einen finanziellen Aufwand in der Größenordnung eines Mittelklasseautos. Und das ist pro Gerät zu veranschlagen, im NMR-Zentrum stehen derzeit sieben Magnete. Wenn sich ein Magnet nicht „wiederbeleben“ lässt, ist der finanzielle Verlust einige hunderttausend Euro.

Also doch besser die Kühlung aufrechterhalten. Dazu muss jede Woche flüssiger Stickstoff nachgefüllt werden. Die Füllintervalle für flüssiges Helium sind länger, aber gerade in Krisenzeiten sollten die Füllpegel möglichst hochgehalten werden. Denn die Verfügbarkeit dieser flüssigen Kryogene ist natürlich auch limitiert. Im Falle eines Engpasses hätten natürlich medizinische Einrichtungen Vorrang, z.B. die Magnetresonanzambulanzen, wo ebenfalls solche supraleitenden Magnetsysteme verwendet werden.

Praktische Stolpersteine

Die praktische Durchführung dieser Magnetkühlung birgt ein paar weitere Stolpersteine. Man muss ja vor Ort sein. Man muss in einem Messlabor mit einem gewissen Gefahrenpotential arbeiten, das Alleinarbeit normalerweise ausschließt. Und gewisse Tätigkeiten, wie das Nachfüllen von flüssigem Helium, sind de facto alleine nur sehr schwierig bis gar nicht möglich. Andererseits soll natürlich die Anzahl der systemerhaltenden Personen möglichst geringgehalten werden, also besser doch alleine arbeiten? Dass man überhaupt vor Ort sein darf, sind entsprechende Passierscheine notwendig, ein weiterer kleiner bürokratischer Aufwand: Wie erklärt man der Verwaltung, welche exotische Systemerhaltung man durchführen muss?

Aber der Rest geht dann im Homeoffice, z.B. Fernüberwachung von relevanten Systemparametern, Kalkulation der benötigten Mengen an Kryogenen und Organisation deren fristgerechter Lieferung. Und natürlich theoretische Forschung, sowie Unterrichten der Studierenden. Da die Geräte ja nicht „ausgeschalten“ sind, können sogar Messungen vom Wohnzimmer aus durchgeführt werden. Nur gibt es leider keine neuen Proben.

Unser Blick in die nahe Zukunft nach Covid-19 ist dafür sehr positiv. Sobald die Beschränkungen im universitären Forschungsbetrieb aufgehoben sind, sind wir ohne Vorlaufzeit sofort bereit für neue Experimente mit neuen Molekülen, sobald die Forschung in den chemischen Laboren wieder anläuft. Und es stehen zwei neue Installationen an, Geräte, die teilweise schon geliefert sind, aber derzeit nicht in Betrieb genommen werden können. Das wird uns zusätzliche Kapazitäten bringen und vor allem auch ganz neue experimentelle Möglichkeiten. Darauf freuen wir uns alle sehr.