Das Bild vom Balkon des Belvedere, auf dem Außenminister Leopold Figl im Mai 1955 den Staatsvertrag präsentiert, ist überaus bekannt. Von der Geburtsstunde der Zweiten Republik im April 1945 gibt es hingegen keine derartige Ikone. Warum das so ist, versucht eine neue Webausstellung des Hauses der Geschichte Österreich (hdgö) zu erkunden – und zeigt dabei hundert zum Teil unbekannte Bilder.
22.04.2020 10.00
22. April 2020, 10.00 Uhr
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Die Erinnerung an bedeutsame Ereignisse der Geschichte ist oft mit Bildern und Kunstwerken verknüpft. Waren es lange Zeit Gemälde oder Statuen, haben sich die Regeln im Zeitalter der Fotografie geändert. Fotos können den Anschein erwecken, die historische Wirklichkeit abzubilden. Welches Foto dann freilich wirklich in der kollektiven Erinnerung „hängen bleibt“, liegt stark an den Bedingungen seiner Entstehung – und den ideologischen Motiven seiner Macher.
Hilscher und Hitler
Ein gutes Beispiel dafür ist das berühmte Bild vom März 1938, das Adolf Hitler auf dem Wiener Heldenplatz bei seiner „Anschlussrede“ zeigt. Der Pressefotograf Albert Hilscher hat Hitler dabei von hinten fotografiert, im Fokus stand die unüberschaubare Menge vor ihm. „Hilscher gab damit der NS-Propaganda eine visuelle Grundlage dafür, den ‚Anschluss‘ als Erhebung der Massen, als Ziel eines scheinbar geeinten ‚Volkes‘ zu deuten“, erklärt Stefan Benedik, hdgö-Historiker und Kurator der aktuellen Webausstellung „Zwischen den Zeiten“. Hilscher habe damit den „Mainstream der Ideologie“ von 1938 abgebildet – und das sieben Jahre später mit einer weiteren Ikone der österreichischen Geschichte wiederholt.
Im April 1945 fotografierte er den brennenden Wiener Stephansdom und retuschierte für den Zeitungsabdruck extra noch ein paar rauchende Wolken hinein – um die Dramatik zu erhöhen und die Interpretation noch einfacher zu machen. „Die Zerstörung der Kirche wurde als Teil des Bombenkriegs interpretiert und das Bauwerk damit zu dem Symbol einer wie aus dem Nichts getroffenen Bevölkerung“, sagt Benedik. „Dass der Krieg auch schon lange davor hier geführt und auch durch Österreicher ermöglicht wurde, konnte damit ebenso ausgeblendet werden wie, dass der Dom wahrscheinlich durch Funkenflug in Brand geriet, jedenfalls aber kein Bombentreffer zu verzeichnen war.“ Hilscher leistete mit seinem Bild auch dem Opfermythos Vorschub, der in der Zweiten Republik lange dominierte.
Ö1-Sendungshinweis
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 28.4., 13:55 Uhr.
Tanzende Sowjetsoldaten
Dass es jenseits dieser bekannten Bilder noch sehr vieles zu entdecken gibt, zeigt die neue Webausstellung, die ab sofort auf der hdgö-Website zu sehen ist. Hundert Fotografien geben dabei „teils völlig neue Einblicke in die Erfahrungen der Menschen vor 75 Jahren, in einer Zeit des Übergangs zwischen NS-Herrschaft und Demokratie, totalem Krieg und alliierter Verwaltung“, wie es in der Ausstellungseinladung heißt. „Nach dem Ende des Krieges wurden die Zerstörungen durch die militärischen Auseinandersetzungen ein beliebtes Motiv – ein Blick auf die weniger bekannteren Bilder lohnt sich jedoch“, sagt hdgö-Direktorin Monika Sommer.
Nachdem die provisorische Regierung in das Parlament eingezogen war, tanzten Angehörige der sowjetischen Armee und Wienerinnen Walzer auf dem Wiener Rathausplatz.
Darunter sind auch sehr spezielle: etwa Fotos nachgestellter Gefechtsszenen vor dem Hintergrund der Ringstraßenbauten, die die Sowjets für ihre Presse anfertigten, oder Sowjetsoldaten, die mit Wienerinnen auf dem Rathausplatz Walzer tanzten. Dem stehen Aufnahmen von Amateuren und Amateurinnen gegenüber, die aus Fenstern oder hinter Verstecken den Einmarsch von Truppen oder die plötzliche Teilung ihrer Ortschaften durch Zonengrenzen fotografierten. Berührend sind Fotos von Begräbnissen mit Opfern der NS-Verfolgung, die den Krieg knapp überlebten, aber dann durch Unterernährung und Seuchen zu Tode kamen.
„1945 keine Konsenserinnerung“
Bleibt die Frage, warum es aus dieser Vielzahl an Bildern vom Beginn der Zweiten Republik keines zur Ikone „geschafft“ hat. Das hat laut Benedik sehr viel mit dem weiteren Verlauf der Geschichte zu tun. Die Geburtsstunde der Zweiten Republik am 27. April mit der Unabhängigkeitserklärung der Regierung Renner in Wien geschah zu einem Zeitpunkt, als in großen Teilen Österreichs noch das NS-Regime regierte und ihren letzten Terror verbreitete.
Fotostrecke mit 14 Bildern
In diesen privaten Aufnahmen zeigt der Fotograf die sowjetischen Soldaten in einer Pause zwischen den Kämpfen um Wien. Die wohlwollende und einfühlende Perspektive widerspricht völlig dem Gräuelbild der NS-Propaganda. Noch nach Kriegsende kamen viele Opfer der NS-Verfolgung durch Unterernährung und Seuchen zu Tode. Am Begräbnis der kommunistischen Widerstandskämpferin Katharina Novotny nahmen VertreterInnen von KPÖ aber auch SPÖ und ÖVP teil. Novotny war kurz nach der Befreiung aus NS-Haft verstorben.Dieses Bild einer sowjetischen Verkehrspolizistin wurde stark verbreitet: Für die sowjetische Verwaltung stand es für die Fortschrittlichkeit der Geschlechterrollen und die erreichte Ordnung des Alltags. Für ÖsterreicherInnen wiederum galt das Motiv einer Polizistin als exotisch. Der Fotograf inszeniert hier die Gleichzeitigkeit von Gewalt und Alltag 1945. Kinderwagen und Panzer sind aber auch Symbole für die Überwindung des Kriegs und den Neubeginn. Der Notsteg über die Reste der Floridsdorfer Brücke war neben der Reichsbrücke die einzige Möglichkeit, in Wien die Donau zu überqueren, nachdem die Wehrmacht alle anderen Brücken gesprengt hatte.Eine überdimensional große rot-weiß-rote Fahne zeigt das Salzburger Festspielhaus als Zentrum eines neuen Österreichbewusstseins. Die Hakenkreuze im Inneren und Äußeren der Spielstätten mussten zuvor entfernt werden.Das Mühlviertel wurde nach der Befreiung durch US-amerikanische Truppen Teil der sowjetischen Besatzungszone. In Lembach bildete die sowjetische Einheit auch eine Militärmusikkapelle.Aufräumungsarbeiten am Lienzer Hauptplatz nach den verheerenden US-Bombenangriffen am 19. und 26. April 1945.Nachgestellte Gefechtsszene sowjetischer Truppen mit einem von den USA gelieferten Panzer. Die Kulisse von Denkmälern und Naturhistorischem Museum weist für das Zielpublikum in der UdSSR auf den Schauplatz Wien/Österreich hin.Dieses Bild vom Aufbruch aus Mauthausen in ein neues Leben bekam großes politisches Gewicht: Das offizielle Papier des US-Kongresses mit der Empfehlung, KZ-Überlebende aufzunehmen, verwendete einen Ausschnitt davon am Cover.Warteschlange vor einem Linzer LebensmittelgeschäftÖsterreichische Kriegsgefangene, die sich freiwillig für die Alliierten gemeldet hatten, marschieren kurz nach Kriegsende am zerstörten Heldenplatz ein – im Hintergrund das noch vermauerte Prinz-Eugen-Denkmal und der rechts außen beschädigte Altan der Neuen Burg.Für einige Monate im Jahr 1945 prägte der Antifaschismus die Öffentlichkeit. Am „Volkssolidaritätstag" sollte ein geeintes Bild des Widerstands vermittelt werden – auch als Signal an die sowjetische Besatzungsmacht.Noch während die Kämpfe um Wien tobten, wurde von der sowjetischen Armee die „Österreichische Zeitung“ vorbereitet. Diese erste Pressepublikation nach der NS-Herrschaft wurde bis Ende der alliierten Verwaltung 1955 verlegt.
„Im Gegensatz zum Staatsvertrag zehn Jahre später wurde sie auch nicht Teil einer Konsenserinnerung, sondern geriet schnell in Vergessenheit“, sagt Benedik. Statt NS-Aufarbeitung stand in Österreich zunehmend der Kalte Krieg auf dem Programm. „Bilder wie das Walzertanzen mit Rotarmisten blieben so – zu Recht – im Verdacht der sowjetischen Propaganda.“ Im geteilten Österreich konnte sich auch keine Ikone für 1945 entwickeln, da das Wort „Befreiung“ bald nicht mehr auf die NS-Herrschaft bezogen wurde, sondern auf die alliierte Verwaltung. Die Zeit für solche Bilder war erst 1955 reif – mit dem Staatsvertrag, der das dann schon geformte staatliche Selbstverständnis auf den Punkt brachte.
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