Füße zwischen Blättern im Wald
AFP/MARCO BERTORELLO
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Vorfahren

Hälfte der Neandertalergene haben überlebt

In heutigen Menschen stecken rund zwei Prozent Neandertaler-Gene. Wie eine aktuelle Analyse zeigt, hat der vor rund 40.000 Jahren ausgestorbene Urmensch aber insgesamt deutlich mehr Erbgut hinterlassen als bisher angenommen. Fast die Hälfte davon hat überlebt.

Der moderne Mensch hat im Laufe der Menschheitsgeschichte den afrikanischen Kontinent verlassen und sich in Asien und Europa verbreitet. Berechnungen zufolge ist das ungefähr 50.000 bis 80.000 Jahre her. Vermutlich in Vorderasien begegnet der Homo sapiens dem Neandertaler, der sich bis dahin parallel zum modernen Menschen Afrikas entwickelt hat. Aus dieser Begegnung entstehen teilweise gemeinsame Nachkommen. Tausende Jahre später verschwindet der engste Verwandte heute lebender Menschen plötzlich, warum ist bis heute unklar.

Wie eine aktuelle Genanalyse im Fachjournal „Nature“ nun aber zeigt, existieren auch heute noch 38 bis 48 Prozent seines Erbguts in der DNA von Menschen weiter und zwar auf alle verteilt. „Jeder einzelne trägt natürlich nur einen kleinen Teil in sich. Etwa zwei Prozent unseres Erbguts gehen auf den Neandertaler zurück. Dieser Teil ist aber bei jedem anders. Die Unterschiede haben wir vereinfacht gesagt zusammengezählt“, erklärt der Studienleiter Laurits Skov, der aktuell am Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig arbeitet.

27.500 Isländer untersucht

Für die Studie haben die Forscherinnen und Forscher das Erbgut von rund 27.500 Isländerinnen und Isländern analysiert. Mit gut 84 Prozent stammt der Großteil des Neandertaler-Erbguts von Altai- und Vindija-Neandertalern. Bei zwölf Prozent ist die Herkunft unklar. Gut drei Prozent sind wiederum auf den Denisova-Menschen zurückzuführen, eine weitentfernte Schwestergruppe des Neandertalers. Das ist insofern überraschend, als nach heutigem Wissensstand Neandertaler vor allem im Westen lebten und Denisovaner im Osten. “Wir wissen noch wenig über den Denisova-Menschen. Es gibt nur ein paar Knochenfunde in Asien. Bisher hat man Reste der Denisova-DNA auch nur in Menschen aus Ostasien, Papua-Neuguinea sowie bei den australischen Aborigines entdeckt. Wir haben deshalb lange gedacht, dass sie keinen Einfluss auf Menschen in Europa haben.“

Nachbildung eines Neandertalers
APA/dpa/Federico Gambarini
Nachbildung eines Neandertalers

Wie ihr Erbgut nun doch nach Europa bzw. Island kommt, kann heute noch nicht beantwortet werden. Der Bioinformatiker Skov hat aber zwei Theorien: Entweder lebten Denisova-Menschen wie Neandertaler bereits in Vorderasien, als der moderne Mensch dort ankam. „Oder der Homo Sapiens traf im Nahen Osten nicht nur auf Neandertaler, sondern auch auf Urmenschen, die schon Erbgut von beiden in sich hatten.“ Diese Theorie geht auf eine Untersuchung aus dem Jahr 2018 zurück. Wie die Knochenreste eines Mädchens in Sibirien zeigten, war ihre Mutter Neandertalerin und der Vater Denisovaner. „Was passiert ist, werden wir aber erst wissen, wenn wir auch Knochenreste in Vorderasien finden. Das ist bist jetzt noch nicht passiert.“

Wie DNA-Reste uns beeinflussen

In den Gen- und Gesundheitsdaten der Isländerinnen und Isländer kann man nicht nur ablesen, wer von unseren ausgestorbenen Verwandten seinen genetischen Fingerabdruck hinterlassen hat. Vielmehr sieht man, was die urmenschliche Erbinformation im Körper macht.

Bereits aus früheren Studien weiß man, dass Neandertaler-DNA einen Einfluss auf das Immunsystem hat und dass Gene von Denisova-Menschen etwas dazu beigesteuert haben, dass Menschen besser in höheren Lagen wie beispielsweise Tibet leben können. In dieser Studie identifizieren die Forscherinnen und Forscher nun fünf entscheidende Mutationen, die durch frühmenschliche Gene verursacht werden.

Eine Genveränderung deutet auf ein niedrigeres Prostatakrebsrisiko hin, zwei Varianten betreffen den niedrigeren Hämoglobinspiegel, was die Anpassung des Körpers in 4.000 Metern Höhe erleichtert, und die beiden letzten Genveränderungen erschweren die Blutgerinnung bzw. lassen einen tendenziell weniger groß werden.

Viele Mutationen ausselektiert

Mittlerweile ist der Einfluss der Gene aber gering, betont Skov. Die meisten Genvarianten wurden nämlich im Laufe der Zeit ausselektiert.

„Wenn man eine kleine Bevölkerung hat, wie bei den Neandertalern, kommt es oft zu Inzucht und es entstehen viele schlechte Mutationen im Erbgut. In dem Moment, wo die Neandertaler auf den Homo Sapiens treffen, die eine größere Bevölkerung waren, werden viele schlechte Genveränderungen entfernt.“

Wo der genetische Nachteil besonders groß wäre, findet man heute gar kein Erbgut von Frühmenschen mehr. Das betrifft laut der Studie ein Viertel des gesamten Genoms, inklusive des gesamten X-Chromosoms, so das Ergebnis von Skovs Analyse.

Europäer, Asiaten, Amerikaner

Die Ergebnisse der Studie gelten nicht nur für Menschen in Island. Vergleiche mit Genanalysen zeigen, dass vermutlich alle Menschen aus Europa, Asien und darüber hinaus einen Teil Neandertaler in sich tragen. „Den kleinen Anteil des Denisova-Menschen finden wir ebenfalls in den verfügbaren Erbgutinformation von Europäern, Menschen aus Süd- und Ostasiaten sowie von Ureinwohnern Nordamerikas, mit denen wir die Ergebnisse verglichen haben.“

Die aktuelle Studie des Bioinformatikers und seiner Kolleginnen und Kollegen erzählt aber auch etwas über die Neandertaler selbst. Wie genaue Vergleiche der DNA von modernen Menschen heute und Neandertalern zeigen, haben männliche Neandertaler früher Kinder bekommen als Männer heute. Neandertaler-Mütter wiederum waren älter. „Je älter Menschen sind, wenn sie Kinder bekommen, desto mehr Genveränderungen vererben sie. Je nach Alter werden auch andere Varianten vererbt. Daraus kann man ablesen, welche Unterschiede es hier gibt.“

Wie viel jünger bzw. älter Neandertaler-Mütter und Väter waren, kann aber nicht gesagt werden. Die Analyse würde aber generell "zu dem passen, was wir bereits über die Neandertaler wissen. Das Leben früher war hart, es gab vermutlich wenig Nahrung und es brauchte Zeit, bis man genug Energie hatte, bis man Kinder gebären kann. Das sind aber nur meine Interpretationen.“