Ein Mann mit einem Kind auf dem Arm und einem an der Hand wirft einen Schatten auf eine mit bunten Handabdrücken bemalte Wand.
APA/dpa/Peter Kneffel
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„Kinder gehören nicht zu Hauptüberträgern“

Die Rolle von Kindern und Jugendlichen bei der Ausbreitung der Coronavirus-Pandemie könnte überschätzt worden sein. Neben Einzelfällen legen das auch erste Analysen zum Ansteckungsrisiko durch junge Menschen nahe. Aber große Studien fehlen, deshalb ist Vorsicht geboten.

In Fachkreisen werden derzeit Berichte aus Frankreich, Island und Italien diskutiert. In Frankreich geht es um eine Gruppe von Skitouristen, die sich in einem Ferienhaus gegenseitig infizierten, darunter auch ein neunjähriges Kind. Das Kind nahm trotzdem an Skikursen teil, hatte viele Kontakte zu anderen – steckte aber niemanden an. Das Manuskript mit der Dokumentation dieses Falls erschien im Journal „Clinical Infectious Diseases“.

Der Fall des Kindes sei bemerkenswert, sagt Ernst Eber, Spezialist für kindliche Lungenerkrankungen an der Medizin-Universität Graz. Im Paper finden sich auch Angaben zur Viruslast des Kindes. Unter der Viruslast versteht man die Menge an Viren, die im Körper zirkulieren. Je höher diese Last im Körper, desto mehr Viren auch in Tröpfchen beim Husten und Niesen, desto ansteckender ist also ein Mensch. Beim untersuchten Kind war die Viruslast sehr gering, so Eber: „Im Paper wird gesprochen von ‚close to the limit of quantification‘, also gerade an der Nachweisgrenze.“ Das ist deshalb wichtig, weil man bisher davon ausgegangen ist, dass auch Kinder mit völlig symptomlosem Krankheitsverlauf eine hohe Viruslast tragen und deshalb sehr ansteckend sind. Diese Annahme wird durch den Bericht aus Frankreich infrage gestellt.

Sessel wurden auf die Tische gestellt, weil die Schule geschlossen wurde.
AFP
Die Sessel wegzuräumen, Schulen und Kindergärten zu Beginn der Epidemie zu schließen, halten Experten nach wie vor für die richtige Entscheidung. Die Rolle von Kindern und Jugendlichen als Virusüberträger wird aber zunehmend hinterfragt.

Auch eine isländische Untersuchung zeigt, dass Zehn- bis 20-Jährige deutlich weniger Viren in sich tragen als Erwachsene. Bei einer Studie für das „New England Journal of Medicine“ wurde kein einziges Kind unter zehn Jahren positiv auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 getestet. Ebenfalls keinen Fall unter Kindern gab im Dorf Vo nahe bei Padua, in dem es aber grundsätzlich verhältnismäßig wenige Covid-19-Fälle gab. Die Studie wurde noch ohne Begutachtung durch die Fachgemeinde in einer Preprint-Version veröffentlicht. Ernst Eber ergänzt für die Grazer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde: „Wir haben bisher knapp 500 Kinder mit Rachenabstrichen untersucht. Mit Stand gestern sind drei positive Befunde eingetroffen.“ In ganz Österreich entfallen laut Dashboard des Gesundheitsministeriums knapp drei Prozent aller positiven Tests auf Kinder bis 14.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichtete auch das Mittagsjournal am 24.4.2020.

Der Grazer Experte für Kinder- und Jugendheilkunde betont, dass es derzeit viele Einzelberichte gebe, die große Datenbasis für umfassende Studien sei schlicht noch nicht vorhanden, deshalb müsse man vorsichtig sein. Er sagt aber: „Nach den bisher vorliegenden Untersuchungen könnten Kinder nicht zu den Hauptüberträgern gehören.“ Diesen Schluss habe man von anderen Viruserkrankungen abgeleitet, auch von der Influenza. „Er ist in dieser Form sicher nicht haltbar“, so Eber.

Trainiertes Immunsystem von Kindern

Zu den Gründen gibt es nur Hypothesen: Es könnte sein, dass das neuartige Coronavirus bei den kindlichen Atemwegszellen nicht so gut andocken kann wie bei Erwachsenen, sich deshalb schlechter vermehrt. Eine andere Hypothese läuft unter dem Schlagwort „trainierte Immunität“, so der Grazer Mediziner: Kinder kommen mit so vielen Viren und Bakterien in Kontakt, dass ihr Immunsystem viel Übung darin hat, sie in Schach zu halten.

Für diese These spreche auch, dass im Körper des französischen Kindes nicht nur neuartige Coronaviren gefunden worden seien, sondern viele verschiedene Krankheitserreger. Auch die Kontaktpersonen – die Mehrheit wiederum Kinder – hatten in der Wintersaison mit diversen Erregern zu kämpfen. Diese Mechanismen könnten dazu führen, dass das Virus in seiner Ausbreitung gehemmt wird, Kinder deshalb weniger schwer erkranken und weniger ansteckend sind als Erwachsene.

Auch wenn große Studien noch fehlen, eines traut sich der Grazer Forscher zu sagen: „Ich denke, man muss sich nicht davor fürchten, die Schulen schrittweise und kontrolliert wieder aufzusperren.“ Dann heißt es, die Infektionszahlen und -wege genau zu dokumentieren, um die Ansteckungsgefahr durch Kinder tatsächlich genau beziffern zu können.