Computergenerierte Bild der European Space Agency (ESA) zeigt Weltraummüll, der neben intakten Satelliten um die Erde kreist.
APA/ESA
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Weltraumschrott

Müllabfuhr in der Umlaufbahn

Müll im All ist nicht nur unschön, er kann auch gefährlich werden – wenn er mit großen Geschwindigkeiten unkontrolliert um die Erde fliegt. Schon kleinste Teilchen können Satelliten beschädigen und Raumschiffe zerstören. Ein europäisches Projekt plant nun aufzuräumen.

Kalter Krieg im All: ein Satellit aus den USA, einer aus Russland – beide fliegen mit mehreren 10.000 Kilometern pro Stunde aufeinander zu, unaufhaltsam. Nichts kann sie noch stoppen. Es kommt zum Frontalzusammenstoß und zur Explosion. – Eine Szene aus einem Science-Fiction-Film? Von wegen…

Genau das geschah vor etwas mehr als einem Jahrzehnt, am 12. Februar 2009. In fast 800 Kilometer Höhe, über Sibirien, prallte ein ausgedienter russischer Cosmos-Satellit auf einen bis dahin noch funktionierenden Satelliten des amerikanischen Iridium-Konzerns.

Knall im All

Wenn solche Kollisionen stattfinden, erhöhen sie die Anzahl von Weltraumschrott schlagartig. In diesem Fall umkreisten in den Tagen nach dem Unglück rund 600 neue Trümmerteile die Erde – Tendenz steigend, so Berndt Feuerbacher, ehemaliger Präsident der International Astronautical Federation. “Bei einer Kollision von einem aktiven und einem inaktiven Satelliten hätte eigentlich der aktive Satellit gesteuert und aus der bevorstehenden Kollision herausmanövriert werden müssen“, so der deutsche Physiker. „Dass so etwas passiert, ist ganz schlecht. Das muss man künftig auf jeden Fall vermeiden."

Ö1-Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 29.06.20 um 13:55 Uhr.

Am Europäischen Satellitenkontrollzentrum (ESOC) im hessischen Darmstadt versucht Rüdiger Jehn für Europas Missionen im All den Himmel frei zu halten. Doch seine Möglichkeiten sind begrenzt: Erst ab ungefähr zehn Zentimeter Größe lassen sich Trümmerteile auf Erdumlaufbahnen vom Boden aus nachweisen. “Es gibt tausend kleine weitere Teilchen, die mit Sicherheit da oben rumschwirren, aber die wir einfach nicht sehen können, weil sie eben zu klein sind“, so Jehn. „Und jedes einzelne Teil ist ein Kollisionsrisiko für unsere Satelliten, die ganz in der Nähe ihre Arbeit verrichten."

Wer putzt im All?

Ein Zentimeter Größe reicht also, damit Teilchen, die mit der vielfachen Geschwindigkeit einer Gewehrkugel durch das All rasen, bei ihrem Aufprall ein Objekt komplett zerlegen. Wie viele solcher Minitrümmer es gibt und auf welchen Umlaufbahnen sie sich wann aufhalten, ist unbekannt.

Maßnahmen gegen bereits vorhandenen Weltraumschrott zu ergreifen, ist so ziemlich unmöglich, denn das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen: Es wäre technisch sehr anspruchsvoll und extrem kostenintensiv, eine „Putzhilfe für’s All“ zu entwickeln, die da oben aufräumt. Private Firmen haben auf diesem Sektor bislang keine Verdienstmöglichkeiten gesehen.

Pläne für derartige Roboter gibt es zwar immer wieder mal; bislang wurde das Prinzip des Wieder-Einsammelns von Weltraummüll aber noch nicht einmal in Ansätzen getestet. “Es gibt bestimmte Umlaufbahnen, wo die Situation heute schon so schwierig ist, dass man tatsächlich daran denken müsste, einige sehr störende Brocken wegzuräumen“, gibt Berndt Feuerbacher zu.

Das große Reinemachen

Dieser Denkprozess ist bei Europas Weltraumagentur am weitesten vorangeschritten: Vor Kurzem hat die ESA das Schweizer Start-Up-Unternehmenn ClearSpace mit der Entwicklung solch eines Aufräumdienstes in der Umlaufbahn beauftragt. „Die Herausforderung ist, diese Aufräumaktion robotisch umzusetzen“, erklärt Michael Pantic von der ETH Zürich, der ClearSpace berät, in einem Video der Firma. Und das heißt: Es sind keine Astronauten involviert. Es wird eine automatische Sonde sein, die ein Stück Weltraumschrott als solches erkennen muss, sich ihm nähert und dann packt – und zwar mit ihren vier Greifarmen.

Als Testobjekt soll beim ersten Flug von ClearSpace-1 im Jahr 2025 der Überrest einer ausgebrannten Oberstufe einer europäischen Vega-Rakete dienen. Die Sonde soll sie greifen und zum Verglühen in die Erdatmosphäre bugsieren. Der Aufräumroboter wird dabei mitvernichtet werden. Dabei soll es jedoch nicht bleiben, ergänzt Luc Piguet, CEO von ClearSpace, ebenfalls in einem Firmenvideo: „Künftige Nachfolgemodelle werden wiederverwendbar sein, sich nach jedem Einsatz mehrere weitere Brocken Weltraumschrott in der Umlaufbahn packen und sie gezielt entsorgen.“