Eine Mitarbeiterin mit Mundschutz und Schutzkleidung entnimmt bei einer Frau eine Coronavirus-Probe.
APA/dpa/Uwe Anspach
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Coronavirus

„Zweite Welle in Österreich realistisch“

Die Erleichterung angesichts der sinkenden Infektionskurve ist deutlich spürbar. Gleichzeitig wächst die Sorge, dass es zu einer zweiten Welle kommen könnte. Die Epidemiologin Eva Schernhammer hält sie im Herbst für realistisch. Den Sommer sollte man nützen, um vorbereitet zu sein.

Unter einer zweiten Welle versteht man das Wiederaufflammen einer pandemischen Erkrankung, erklärt Eva Schernhammer, Leiterin der Abteilung für Epidemiologie der Medizin-Universität Wien, im Podcast-Interview. In dem Moment, in dem eine Krankheit nicht mehr begrenzt auftritt, sondern sich über die ganze Welt verteilt, wächst die Gefahr, dass der Erreger auch nach erfolgreicher lokaler oder regionaler Bekämpfung wieder eingeschleppt wird.

Rückzugsgebiet Südhalbkugel

„In Österreich ist eine zweite Welle nicht unrealistisch, im Gegenteil: Man muss davon ausgehen, dass sie auf uns zukommen wird“, bestätigt die Medizinerin Aussagen des deutschen Virologen Christian Drosten. Auch Eva Schernhammer hält eine solche zweite Welle für den Herbst für wahrscheinlich: „Es könnte sein, dass uns im Sommer das Wetter dabei unterstützt, das Coronavirus in Schach zu halten.“ Menschen sind weniger in Räumen, mehr im Freien, wo die Ansteckungsgefahr kleiner sei. Außerdem vertragen Coronaviren keine UV-Strahlung. „Man weiß zwar noch nicht, wie sich das aktuellen Coronavirus im Sommer verhalten wird, aber selbst wenn es in den nächsten Monaten sich weniger stark verbreitet: Auf der Südhalbkugel, wo es jetzt kalt wird, wird es aktiv bleiben, und von dort könnte es im Herbst wieder vermehrt zurückkehren.“

Büroangestellte in Manila mit Mundschutz
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Der Mund-Nasen-Schutz im öffentlichen Raum gehört in den „Maßnahmenkoffer“, wenn es darum geht, eine zweite Welle zu verhindern.

Zwei Faktoren begünstigen eine neuerliche schnelle Verbreitung: Nach den bisherigen Zahlen der akut Infizierten haben nur wenige Menschen die Krankheit durchgemacht und dadurch Antikörper gebildet. „Da liegen wir in Österreich im niedrigen einstelligen Prozentbereich, das heißt, es sind immer noch sehr viele Menschen empfänglich für das Virus.“ Es gibt zwar noch keine konkreten Zahlen zur Dunkelziffer, aber auch sie dürfte in den meisten Regionen niedrig sein. Außerdem wisse man nicht, wie lange die Immunität nach einer Infektion anhält, so die Medizinerin. Erst vor wenigen Tagen hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gewarnt, Immunitätspässe und damit Freibriefe für Menschen nach überstandener Covid-19-Erkrankung auszustellen. Dazu wisse man noch zu wenig, zuletzt sind Berichte über Neuinfektionen nach Genesung erschienen.

Schwierige Inkubationszeit

Die zentrale Zahl, um die Entwicklung der Epidemie in Österreich beurteilen zu können, sei die effektive Reproduktionszahl, so die Epidemiologin. Sie bezeichnet die Anzahl der Personen, die durchschnittlich von einem Erkrankten infiziert werden. Derzeit liegt diese Zahl laut jüngster Berechnung der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) am 24.4. bei 0,63. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bezifferte die Reproduktionszahl bei einer Pressekonferenz heute, Dienstag, mit 0,59, die Quelle wurde bisher nicht veröffentlicht. Solange die Zahl unter Eins liegt, nimmt die Ausbreitung ab bzw. bleibt auf dem gleichen Niveau. Über Eins tritt schnell wieder jener Schneeballeffekt ein, der die Intensivstationen überlasten und zu zahlreichen Todesopfern führen könnte.

Ö1 Sendungshinweis:

Über das Thema berichtet auch das Mittagsjournal am 28.4.2020.

Um die Reproduktionszahl unter Eins zu halten und damit eine zweite Welle zu verhindern, hält Eva Schernhammer – bis zum Vorliegen einer effektiven Impfung – einen Mix aus verschiedenen Maßnahmen für nötig: Beibehalten werden sollte der Mund-Nasen-Schutz im öffentlichen Raum sowie das Verbot großer Veranstaltungen, bei denen sich Menschen – vor allem in Räumen – sehr nahe kommen. Außerdem weiterhin notwendig sein wird Hygiene wie Hände waschen und Abstand halten von Personen mit hohem Risiko.

Nur an die Eigenverantwortung des Einzelnen zu appellieren wie zuletzt FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl im Ö1 Morgenjournal würde nicht ausreichen, so die Epidemiologin: „Durch die Inkubationszeit von mehreren Tagen und die vermutlich hohe Zahl asymptomatischer Infektionen lassen sich Infektionen auch dann nicht verhindern, wenn Menschen bei Krankheitssymptomen konsequent zuhause bleiben. Manche wissen es schlicht nicht, dass sie ansteckend sind.“

Genügend Tests und Grippe-Vorsorge

Deshalb brauche es auch Maßnahmen seitens des Staates, um eine zweite Welle schon im Keim versticken zu können: „Es braucht genügend Kapazitäten, um nicht nur besonders kritische Personengruppen wie das medizinische Personal regelmäßig testen zu können, sondern auch, damit Menschen mit Symptomen nicht tagelang auf einen Test und das Ergebnis warten müssen.“ Das sei die Grundlage, um dann – als zweite Maßnahme – die Kontakte einer infizierten Person herausfinden und diese Menschen dann ebenfalls isolieren zu können. Dafür sei auch eine „Tracing App“, also ein Programm am Mobiltelefon, das alle Kontakte aufzeichnet, eine nützliche Ergänzung im „Maßnahmenkoffer“. Auch zum Reisen müsse man sich genaue Regeln überlegen, schließlich habe das Beispiel Singapur gezeigt, dass Neuinfektionen von Außen ins Land gekommen seien.

Sollte der Sommer tatsächlich so etwas wie eine Verschnaufpause in Sachen Corona werden, müsse man diese Zeit unbedingt nützen, um sich für den Herbst vorzubereiten, so Eva Schernhammer: „Und zwar nicht nur in Sachen Testkapazitäten, sondern auch mit Blick auf die nächste Influenza-Saison. Sie wird kommen und schon im Herbst sollten möglichst viele Menschen, vor allem aber besonders gefährdete Gruppen, motiviert werden, sich gegen die Influenza impfen zu lassen.“ Denn im Unterschied zu Covid-19 sei es hier möglich, die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs zu verringern.