Ein älterer Mann sitzt alleine auf einer Parkbank, neben ihm steht eine Bierflasche.
APA/zb/Patrick Pleul
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Coronavirus

Ältere: Zwischen Schutz und Ausgrenzung

Ältere Menschen sollen derzeit möglichst wenig Kontakt zu anderen Menschen haben – sie gelten als Risikogruppe für Covid-19. Das schützt sie zwar, kann aber dennoch nachteilige Folgen für ihre Gesundheit haben und zu Ausgrenzung führen.

Ältere Menschen sollen besonders darauf achten, keinen Kontakt zu anderen Menschen zu haben, Abstand zu halten und möglichst zuhause zu bleiben. Diese Aufforderung wird in Österreich vielerorts an alle jenseits der 60 gerichtet. Ab diesem Alter zählen Menschen zur Coronavirus-Risikogruppe, unabhängig von ihrem gesundheitlichen Zustand und ihrer körperlichen Fitenss. Und die unterscheide sich in dieser Altersgruppe von Person zu Person oft sehr stark, sagt der Soziologe Franz Kolland von der Universität Wien.

Sie alle in einer Gruppe der Gefährdeten zusammenzufassen, habe Auswirkungen auf das Selbstverständnis der Älteren. „Die alten Menschen werden zu einer Problemgruppe, sehen sich dann selbst als eine Problemgruppe, und das wirkt sich auf das eigene Alterserleben aus“, so der Soziologe.

Sich jung zu fühlen, tut gut

Das Altersempfinden sei allerdings entscheidend für das Wohlbefinden, ergänzt Kolland. In Österreich fühlen sich ältere Menschen eigentlich jünger als sie laut Geburtsurkunde sind. Aus Studien wisse man, dass sich Ältere im Schnitt zwischen sechs und acht Jahren jünger fühlen, sagt Kolland. Und das hat positive Auswirkungen auf die Gesundheit. Diese Menschen sind optimistischer und fühlen sich weniger eingeschränkt in der selbstsändigen Bewältigung des Alltags oder im Berufsleben.

Ö1-Sendungshinweis:

Dem Thema widmeten sich auch die Ö1-Journale, am 30.4., um 12.00 Uhr.

Die Coronavirus-Pandemie habe das verändert, meint der Soziologe. Menschen über 60 würden als eine Gruppe, jene „der Alten“, kategorisiert. „So sehr der Schutz hier im Vordergrund steht, man kann diese Schutzorientierung auch als eine Form positiven Diskriminierung sehen“, sagt Kolland. Es bleibe aber eine Form der Diskriminierung.

Nicht verallgemeinern, direkt ansprechen

Das Alter allein sagt wenig über den gesundheitlichen Zustand eines Menschen aus. Hier sprachlich zu verallgemeinern sei problematisch, meint Kolland. Besser wäre es, die verschiedenen Risikogruppen direkt anzusprechen, also jene Erkrankungen, die das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf tatsächlich erhöhren, wie Diabetes oder Lungenerkrankungen. „Dann habe ich eine konkrete, auf die Krankheit bezogene Beschreibung und nicht eine, die am Alter hängt, weil das eben nur die halbe Wahrheit ist“, so Kolland.

Die Warnungen zuhause zu bleiben, um sich selbst zu schützen, können dazu führen, dass ältere Menschen seltener einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen und sich generell zurückziehen. Online-Angebote kämen für viele nicht in Frage, denn 40 Prozent der Über-60-Jährigen hätten keinen Internetzugang, erläutert der Soziologe. Bei jenen älteren Menschen, die krank sind, könnte das schwerwiegende Folgen haben. Manches bliebe dann undiagnostiziert, chronische Krankheiten würden schlechter therapiert.

Bewegung statt Rückzug

Auch für an sich gesunde Senioren sei der Rückzug nachteilig, sagt Kolland. Viele machten weniger Bewegung, weil sich ihr Aktivitätsradius drastisch eingeschränkt habe. „Dieser aufgeforderte Rückzug erzeugt potenziell ein ungünstiges Gesundheitsgeschehen, weil wir wissen, dass eine mehrwöchige Reduktion von Bewegung schon gesundheitliche Auswirkungen hat“, so der Soziologe weiter.

Werden körperliche Tätigkeiten stark eingeschränkt, verliert der Körper wichtige Muskelmasse, die vor Stürzen und Knochenbrüchen schützen kann. Gerade im Alter komme es schneller zu dieser Sarkopenie, sagt Kolland. Den Muskelschwund später wieder auszugleichen sei schwierig. „Außerdem sind diese Formen des sozialen Ausschluss ungünstig für eine Gesellschaft, die eigentlich Zusammenhalt braucht“, ist Kolland überzeugt. Deswegen hofft der Soziologe, dass die besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen schon bald genauer benannt werden, unabhängig vom Alter.