Aufgeklappter Laptop, Handy, Kaffee und Brille
APA/BARBARA GINDL
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UMwelt

Die Klimabilanz der virtuellen Mobilität

Videokonferenzen, Online-Shopping, Yogakurse per Stream: Digitale Technologien werden in Arbeit und Freizeit mehr genutzt denn je. Das wirkt sich positiv aufs Klima aus – jedenfalls kurzfristig.

Vom Pendeln zur Arbeit bis zur interkontinentalen Geschäftsreise: Virtuelle Mobilität ersetzt seit Beginn der Coronavirus-Krise oft die realen Wege. Selbstverständlich finden Besprechungen mittlerweile als Videokonferenz statt. Manchmal muss man neu starten, wegen Netzüberlastung aufgrund der starken Nachfrage – aber daran hat man sich gewöhnt.

Um die Akzeptanz für virtuelle Mobilität zu untersuchen, wurde eine Studie reaktiviert, die eigentlich schon im Herbst durchgeführt worden ist und nur mehr ausgewertet werden sollte. Unter dem Projektnamen „PoViMob“ untersuchten das Umweltbundesamt und die auf Mobilitätsforschung spezialisierte Firma mipra die Potenziale und Wirkungen virtueller Mobilität(„PoViMob“). Die Studie wird gefördert vom Klimaschutzministerium im Rahmen des Programms „Mobilität der Zukunft“, derzeit werden Ergebnisse der neuen Befragungen ausgewertet, die bereits in Zeiten der Coronavirus-Krise stattfanden.

Mehr Akzeptanz

Noch im Herbst wurden Videokonferenzen verbunden mit technischen Problemen, aber auch mit mangelnder Disziplin im Gespräch aufgrund der ungewohnten Situation. Diese Dinge kriegt man aber schnell in Griff, wenn das Videomeeting zur Routine wird – das zeigt das Update zur Studie, wofür weitere 1.000 Menschen befragt wurden. „In dem Sinn kann man schon sagen, dass die Corona Krise die Anzahl der durchgeführten Videokonferenzen verdoppeln wird“, prognostiziert der Motivforscher Michael Praschl von mipra.

63 Prozent der Befragten waren erst seit den Ausgangsbeschränkungen intensiv mit Telearbeit befasst, bei Videokonferenzen sind es 44 Prozent. Trotzdem ist die Zustimmung hoch. Die tägliche Morgensitzung erleichtert die Arbeit zuhause, dadurch muss weniger gependelt werden – gut fürs Klima. Dass auch der Stromverbrauch steigt, merkt man weniger, denn explizit wahrnehmbar ist ja nur das, was Handy oder Computer verbrauchen.

Stromverbrauch im Hintergrund

Die Datenübermittlung für Videos läuft jedoch im Hintergrund über Serverstrukturen, deren Energieverbrauch ständig wächst. 200 Milliarden Kilowattstunden Strom werden jährlich für Streamingdienste verbraucht, ermittelte der Energieanbieter E.on. Laut dem französischen Think Tank The Shift Project verursachen digitale Technologien vier Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen. Auch Margarethe Vestager, zuständig für Digitales bei der Europäischen Kommission, äußerte sich zu dieser Entwicklung bereits Ende 2019.
Ganz irrelevant sind die Videokonferenzen also nicht. Deren Energieverbrauch und Klima-Effekt im Detail zu beziffern, ist allerdings schwierig, weil die Auflösung und der Energiemix des Dienstes eine Rolle spielen.

Pendeln als Vergleich

Als Vergleich kann ein Wert dienen, den The Shift Project für eine Stunde Netflix-Stream angibt: 200 Gramm C02. Dem stehen nach Auskunft des Umweltbundesamts 17,9 Kilogramm pro Tag für zweimal 36 Kilometer im PKW gegenüber. Diese 72 Kilometer sind die typische Pendelstrecke von über 2,5 Millionen Menschen in Österreich. Der tägliche Emissionswert einer pendelnden Einzelperson entspricht also dem knapp 90-fachen von einer Stunde Videostream.

Homeoffice gut fürs Klima?

„Im Vergleich zum Vorjahr ist der Stromverbrauch europaweit derzeit zehn bis 13 Prozent niedriger“, erklärt Christoph Schuh vom Austrian Power Grid, dem Betreiber des österreichischen Hochspannungsnetzes. Gäbe es ungewöhnliche Stromspitzen, hier würden sie sich bemerkbar machen. Der aktuelle Wert sei allerdings nicht vergleichbar, betont Schuh, letztes Jahr wäre der Frühling deutlich kühler gewesen. Und derzeit hätte sich die Nachfrage zu den Haushalten verschoben, aber ob ein Computer im Homeoffice läuft oder in der Firma, ändert ja nichts im Stromverbrauch. „Der aktuelle Verbrauch ist gewissermaßen der bereinigte Haushaltsbedarf.“

Was sonst dazukommt und aktuell wegfällt, ist der Betrieb von Strukturen: Licht oder Lifte in Bürotürmen brauchen derzeit keinen Strom. Streaming und Videokonferenzen könnten aber durchaus Spitzen erzeugen: Wenn zwischen 8 und 10 Uhr viele Morgenmeetings stattfinden oder zu Feierabend das digitale Patschenkino. Die Energienachfrage dafür würde sich dort zeigen, wo die entsprechenden Server betrieben werden. Die können irgendwo auf der Welt stehen, jedenfalls nicht in Österreich.

Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Manche Experten meinen, dass die Digitalisierung jetzt erst richtig ankommt, weil nun die bestehenden Möglichkeiten breiter genutzt werden. Wenn weniger gependelt und gereist wird, ist die Klimabilanz noch positiv. Die Verwendung digitaler Technologien zu beobachten, so wie es The Shift Project macht, ist dennoch sinnvoll, um Fehlentwicklungen vorzubeugen. Der automobile Individualverkehr begann schließlich auch in sehr bescheidenen Dimensionen, während man sich noch Gedanken über zu viel Pferdemist in den Städten machte. Schon jetzt wächst der Energieverbrauch der Informations- und Kommunikationstechnologien jährlich um neun Prozent, ein Großteil des Datenvolumens entsteht allerdings bei Freizeitanwendungen. Der Energieverbrauch von Mobilfunk und Datencentern dürfte sich bis 2025 verdoppeln. Dass die Endgeräte immer weniger brauchen, wird diese Entwicklungen nicht kompensieren.

Videos füllen Datenströme

Videoinhalte im Unterhaltungsbereich machen inzwischen 60 Prozent der Datenströme aus und treiben diese Entwicklungen voran, mit der Qualität (4K bzw. 5K HD) steigen hier die Datenmengen. Neben 20 Prozent anderer Videonutzung wie Konferenzen oder auch Überwachung bleiben dann noch 20 Prozent der Datenströme ohne Video, beispielsweise Musikstreaming. Dieses boomt allerdings weniger als gedacht in der aktuellen Situation, denn auch hier konsumieren die Menschen lieber Videos als nur zu hören. Dabei würde ein Verzicht auf die Videofunktion die Energie- und Datenbilanz deutlich verbessern.

Übrigens funktionieren auch die Konferenzen in der Audiovariante wesentlich stabiler als mit Videobild. Manchmal will man die Gesprächspartner trotzdem gerne sehen. Dann empfiehlt es sich, eine WLAN-Verbindung zu nützen, der Stromverbrauch ist hier deutlich niedriger als mobil. Auch bei Filmstreams ist es die Hälfte. Durch die Kombination von Endgerät, Art der Netzverbindung und die Option Video (ja/nein/in welcher Qualität) lassen sich die Klimaeffekte positiv oder negativ beeinflussen.

Ungünstige Wechselwirkungen

Verglichen mit dem verkehrsintensiven Arbeitsleben bisher ist die Strombilanz der virtuellen Mobilität besser fürs Klima. Die PoViMob-Studie schaut aber auch auf andere Faktoren: So kann die Arbeit zuhause Zersiedelung fördern. Ein Befragter gab an, dass er wegen Homeoffice nicht mehr öffentlich pendle, sondern mit dem Auto – für zweimal die Woche zahle sich die Jahreskarte nicht aus. Andere verplanen das gesparte Geld für CO2-intensive Fernreisen. Genaue Werte wird das Umweltbundesamt nun auf Basis der Befragungen berechnen, um die Wechselwirkungen von virtueller Mobilität und Klimaeffekten abzubilden.