Stopp Corona App auf einem Smartphone
APA/ROLAND SCHLAGER
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Grundrechte

App-Zwang nicht ausgeschlossen

Corona-Apps erfassen, welche Smartphone-Besitzer sich nahekommen, und warnen die Nutzer später, falls darunter auch jemand war, der mit dem Coronavirus infiziert war. Ein Zwang zur Verwendung wäre zwar sehr problematisch, aber nicht ausgeschlossen, so ein Menschenrechtsexperte.

Länder wie Taiwan und Südkorea gehören bisher zu den Ländern, die die Corona-Pandemie am erfolgreichsten eindämmen konnten. Auch ohne großen Lockdown halten sich die veröffentlichten Infektions- und Todeszahlen in Grenzen.

In Südkorea wird der Erfolg einerseits auf die hohe Anzahl an Tests zurückgeführt. Zum anderen setzen beide Länder auf das Erfassen von Kontaktinformationen. Über Handydaten wird dabei zurückverfolgt, wer mit einer infizierten Person Kontakt hatte, und isoliert. In Honkong wiederum bekommt jeder bzw. jede Einreisende ein elektronisches Armband, mit dem überprüft wird, ob er oder sie vorschriftsgemäß in Quarantäne bleibt. Auch in Südkorea ist eine vergleichbare App für Einreisende verpflichtend.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema „Menschenrechte in der Coronakrise“ widmet sich auch der Ö1 „Corona Podcast“.

Was dürfen Staaten und was nicht?

Wie weit Staaten gehen können, um das Recht auf Privatsphäre sowie das Recht auf Datenschutz einzuschränken, hängt nicht zuletzt von der Rechtslage in den jeweiligen Ländern ab, erläutert der Rechtswissenschaftler Michael Lysander Fremuth, Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte und Professor an der Universität Wien. „Global gibt es kein einheitliches Datenschutzniveau. In Europa ist man sehr sensibel, was den Schutz personenbezogener Daten angeht. Aber schon in den USA und erst recht in asiatischen Ländern sieht man das anders.“

Corona-App auf Smartphone
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Hierzulande bzw. in der EU gewährleistet das Recht auf Datenschutz vereinfacht gesagt, dass jeder die Kontrolle über seine Daten hat. „Ich entscheide grundsätzlich selbst, unter welchen Voraussetzungen ich personenbezogenen Daten mitteile bzw. zur weiteren Verarbeitung freigebe. Insofern ist eine App, die ich mir freiwillig auf mein Handy lade, unproblematisch.“

Datenschutz nicht absolut

Das ändert sich freilich, sobald der Staat verordnet, dass man sich die App herunterladen muss. Wobei es darauf ankommt, ob personenbezogene Daten gesammelt werden oder „nur“ anonymisierte Daten, die nicht auf einzelne Personen rückschließen lassen. „Erhebe ich individualisierbare Daten und erstelle Bewegungsprofile, betrifft dies das Grundrecht auf Datenschutz, wie es in Österreich auch im Verfassungsrecht steht. Allerdings muss man beachten, dass auch das Recht auf Datenschutz nicht absolut gilt.“ Der Staat darf demnach unter bestimmten Voraussetzungen Daten erheben, sie auswerten und daraus Schlüsse ziehen, er muss sich dafür allerdings rechtfertigen, so Fremuth.

Grundsätzlich ist es legitim, den Datenschutz und die Privatsphäre erheblich einzuschränken, um das Leben und die Gesundheit anderer zu schützen. Es gibt aber Regeln. So muss der Staat sicherstellen, dass die Eingriffe nur soweit gehen, als sie für den Schutz anderer notwendig sind. „Wenn ich eine App verpflichtend einführen wollte, müsste ich zuallererst sicherstellen, dass die erhobenen Daten auch nur zu dem Zweck der Einhegung der Verbreitung des Coronavirus eingesetzt werden können und dass sie, nachdem die Krise bewältigt ist, automatisch gelöscht werden müssen.“

Eine Totalüberwachung ist in Europa hingegen unzulässig, so der Menschenrechtsexperte. Wie in vielen EU-Ländern betont auch die österreichische Regierung, dass die App „Stopp Corona“ freiwillig verwendet werden kann und nicht verpflichtend ist.

Spielraum der Staaten

Allgemein haben Staaten beim Schutz von Menschenrechten und der Gewichtung möglicherweise gegenläufiger Interessen einen relativ großen Spielraum, so Fremuth. Das betrifft auch die Rechte auf Leben und Gesundheit. Laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte handelt es sich dabei zwar um die Kernrechte der europäischen Menschenrechtskonvention. Trotzdem müssen Staaten nicht alle anderen Interessen dem Schutz von Gesundheit und Leben unterordnen. „Das tun wir ja auch sonst nicht. Wir nehmen es in Kauf, dass Menschen an der Influenza oder im Straßenverkehr sterben. Der Schutz des Lebens ist nicht absolut. Die Frage, welches Schutzniveau wir haben wollen, ist immer auch eine Frage des gesellschaftlichen Diskurses.“ Unzulässig wäre es aber, wenn ein Staat gar nichts unternimmt, um die Menschen zu schützen.