Illustration des Coronavirus
CDC – Alissa Eckert, Dan Higgins
CDC – Alissa Eckert, Dan Higgins
Symbolik

Was Bilder über das Coronavirus noch erzählen

Schon lange werden Krankheiten und ihre Symptome auch in Bildern vermittelt. Aber noch nie war eine Krankheit optisch so präsent, wie es derzeit beim Coronavirus ist, meint eine Expertin für Ikonographie. Die Darstellungen sind dabei selten neutral, sie wecken bestimmte Assoziationen.

Die Bilder vom Doktor mit dem Schnabel symbolisieren noch heute die Pest, auch wenn es bis heute kaum Belege für den damaligen Einsatz der Schnabelmaske bei der Behandlung der Pestkranken gibt. Gerne griff man früher auch auf Darstellungen zurück, die Personen mit angeblichen typischen Merkmalen der jeweiligen Krankheit zeigten. Die Tuberkulose wurde im 19. Jahrhundert insbesondere mit blassen, jungen Frauen bebildert, erklärt die Kulturwissenschaftlerin Monika Pietrzak-Franger, die Mitglied der Arbeitsgruppe Geschichte der Medizin/Medical Humanities an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist und an der Universität Wien zur Ikonographie von Krankheiten forscht.

Arzt mit Pest-Schutzanzug im 17. Jahrhundert
Doktor Schnabel

Jede Krankheit hat ihre eigene Bildsprache, meint Pietrzak-Franger. Manche Krankheiten seien dabei medial präsenter als andere. Von Brustkrebs beispielsweise gibt es in unserer Gesellschaft besonders viele Bilder und damit verbunden viel mediale Präsenz. Im Gegensatz etwa zu Eierstockkrebs, der eine nur schwach ausgeprägte Ikonographie besitzt und eher in Vergessenheit gerät, weil medial unterrepräsentiert.

Was Bilder können

Historisch und gegenwärtig spielen Medien eine zentrale Rolle in der Formation, Distribution und Popularisierung von Wissen von Krankheiten und tragen dazu bei, dass wir die Krankheit „im Kopf behalten“. Dazu sind Bilder ideal – sie vermitteln deutlich – wenn auch oft stark vereinfacht – wichtige Botschaften. Genau das ist auch ein wesentlicher Punkt bei der Ikonographie von Krankheiten: Mediale Bilder sind nie neutral, stellt Pietrzak-Franger klar.

Ö1 Sendungshinweis:

Über das Thema berichtet auch „Wissen Aktuell“ am 13.5.2020.

Das Krankheitsbild der Syphilis lässt sich beispielsweise an den Altären der Renaissance nachvollziehen. Dabei wird die Krankheit als Strafe Gottes für eigene Sünden gesehen und – gleichzeitig – als ein rhetorisches Mittel, das dem Betrachtenden nahelegt, ein moralisches Leben zu führen und dadurch göttliche Erlösung zu erlangen. Die Visualisierung ist also zugleich eine Anleitung für ein erwünschtes Verhalten. Im 19. Jahrhundert nutzten wiederum Frauenbewegungen die Syphilis und ihre Bilder als rhetorisches Mittel, um Wahlrechte für sich zu erlangen, erklärt Pietrzak-Franger. Die Befürworter der Eugenik nutzten später Fotografien von angeblich typischen Syphillis-Kranken, um bestimmte soziale Gruppen zu stigmatisieren und die Zwangssterilisation voranzutreiben.

Ikonographie der Pandemie

Unübertroffen in der bildlichen Darstellung sind allerdings das neuartige Coronavirus und Covid-19, meint Monika Pietrzak Franger. Noch nie hatten wir so viele Bilder von einer Krankheit im Umlauf wie jetzt. Kein Wunder, leben wir doch in einer Epoche, in der Bilder einen großen Stellenwert haben und in den sozialen Medien und dem Internet allgemein große und schnelle Verbreitung finden. Das neuartige Virus hat uns viele ungewohnte Bilder beschert. Venedig ohne Touristen etwa. Ein leergefegter Wiener Stephansplatz. Aber auch bunt maskierte Menschen auf den Straßen, Kolonnen von Militärfahrzeugen und Ärzte in Schutzanzügen.

Leere Stephansplatz während der Ausgangsbeschränkungen im März 2020
APA/HELMUT FOHRINGER
Der leere Stephansplatz

Auch das Virus selbst ist in den Medien äußerst präsent. Die allseits bekannte Darstellung des vergrößerten Sars-CoV-2– Virus stammt von den Medizin-Illustratoren Alissa Eckert und Dan Higgins und wurde für das US-amerikanische Centers for Disease Control and Prevention gemacht. Ursprünglich war es eine graue Kugel mit orangenen und rot-braunen Auswüchsen auf einem dunklen Hintergrund. Form, Textur, Farbe und Beleuchtung begründeten die beiden mit der guten emotionalen Vermarktbarkeit einerseits und der starken Betonung der Ernsthaftigkeit der Lage andererseits.

In den Medien erscheint das Virus heute in verschiedenen Farben, meist in leuchtenden grellen rot-pinken oder in grün-blauen Tönen. Oft werden ganze Virusschwärme abgebildet, die durch einen dunklen Hintergrund ziehen. „Das Ikon ist faszinierend, aber gefährlich!“, so die Bild-Interpretation von Monika Pietrzak-Franger. Das Sichtbarmachen des eigentlich Unsichtbaren sei aber auch beruhigend, meint sie: „Wenn man ein Bild des Feindes hat, erweckt das zumindest den Anschein, man hätte alles unter Kontrolle.“

Geografie der Pandemie

Onlinekarten wandeln Zahlen über die Verbreitung von Covid-19 bildlich um. Als Beispiel nennt Pietrzak-Franger die Echtzeitkarte der John Hopkins Universität in Baltimore. Die erinnert an Vorbilder aus dem Katastrophenfilm, so Pietrzak -Franger. Die Weltkarte ist in rot-schwarz gehalten. Die roten Punkte zeigen die immer größer werdenden Pandemiezentren auf. „Sie verdeutlichen die Ernsthaftigkeit der Lage und signalisieren die drohende Katastrophe“, so Pietrzak-Franger.

Verbreitung von Covid-19 auf der Echtzeitkarte der Johns Hopkins University vom 13.5.2020
Johns Hopkins University
Verbreitung von Covid-19 in Europa auf der Echtzeitkarte der Johns Hopkins University vom 13.5.2020

Solche Karten weisen manchmal auch mit dem politisch motivierten Zeigefinger auf die angeblich schuldigen „Ursprungsländer“ des Virus, warnt Monika Pietrzak-Franger. Wichtig sei daher, dass man die Bilder immer kritisch reflektiert. „Wir müssen uns immer die Fragen stellen: Was macht das Bild, welche Argumente werden damit unterstrichen, welche Geschichten erzählt es?“

Letztendlich ist die Bildgeschichte des neuartigen Coronavirus aber auch eine vielstimmige. Bei keiner anderen Pandemie hatten so viele Menschen wie heute schließlich die Möglichkeit, diese Bildergeschichte mit ihren eigenen Bildern mitzuerzählen.