Figuren im Quai Branly Museum-Jacques Chirac in Frankreich – Ausgangspunkt der Debatte um Rückgabe von Kulturgütern aus der Kolonialzeit in Afrika
AFP/GERARD JULIEN
AFP/GERARD JULIEN

Koloniale Geister im Museum

Ethnologische Museen und ihre Verstrickungen mit der europäischen Kolonialgeschichte sind derzeit Gegenstand hitziger Debatten. Wie man mit der problematischen Sammlungspraxis heute umgehen soll, erörtert die Anthropologin Cécile Bründlmayer in einem Gastbeitrag am Beispiel einer unerforschten Sammlung aus Westafrika.

Cécile Bründlmayer
IFK

Cécile Bründlmayer studierte Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien. Sie war als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Weltmuseum Wien tätig und anschließend Kuratorin am Humboldt Forum in Berlin. Seit 2019 ist sie Dissertantin am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin. Derzeit ist sie Junior Fellow am Internationalen Zentrum für Kulturwissenschaften (IFK) in Wien. Am 11. Mai berichtet sie in ihrer IFK-Zoom-Lecture über ihre Forschungen.

Ein Paukenschlag war der Ende 2018 veröffentlichte Bericht des senegalesischen Ökonomen Felwine Sarr und der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, in dem sie für eine umfassende Rückgabe sämtlicher unrechtmäßig erworbener Kulturgüter aus Subsaharaafrika plädieren. Der Bericht entfesselte eine weltweit geführte Debatte über die Restitution ethnologischer Sammlungen an die Herkunftsländer und löste teilweise starke Emotionen aus. Sie reichen von emphatischem Zuspruch bis hin zu Verunsicherung und Irritation. Werden nun alle Museen in Europa geleert? Wer entscheidet darüber, was mit den Kulturgütern passiert? Welche möglichen Umgangsweisen gibt es?

Reise nach Westafrika

September 1907. Der junge deutsche Anthropologe Leo Frobenius besteigt in Hamburg den Dampfer „Duala“ in Richtung Dakar, der heutigen Hauptstadt des Senegal, um seine zweite Expedition auf den afrikanischen Kontinent zu beginnen. Über zwei Jahre bereist er das damals unter französischer Kolonialherrschaft stehende Gebiet im heutigen Mali, Guinea und Burkina Faso sowie das damals unter deutscher Kolonialherrschaft stehende Togo.

Reiseroute der „Zweiten Deutschen Inner-Afrikanischen Forschungs-Expedition,“  1907-09
Leo Frobenius 1911 „Auf dem Weg nach Atlantis“
Reiseroute der „Zweiten Deutschen Inner-Afrikanischen Forschungs-Expedition,“ 1907-09

Dabei entsteht eine umfangreiche Sammlung aus Objekten, Fotografien und Zeichnungen, die heute, über 100 Jahre später, verstreut auf verschiedene Institutionen in Deutschland, in Museumsdepots und Archiven schlummert. Ein Großteil der Sammlung befindet sich am Museum am Rothenbaum in Hamburg und stammt aus Gebieten des heutigen Guinea und Mali sowie zu einem geringeren Anteil aus dem heutigen Togo und Burkina Faso.

Inventarkartenzeichnung eines Maskenaufsatzes aus Mali
Federzeichnung auf Büttenpapier, aquarelliert
Museum am Rothenbaum, Hamburg, undatiert
Inventarkartenzeichnung eines Maskenaufsatzes aus Mali

Die Sammlung besteht vor allem aus Alltags- und Haushaltsgegenständen, Werkzeugen, Schmuck, Kleidung und Textilien, aber auch aus zahlreichen sehr ähnlich verarbeiteten sogenannten „Spinnwirteln“ zum Spinnen von Fasern, einer Sammlung von Pfeilen und Bögen sowie Hunderten von ovalen Steinen, die Frobenius für seine Studien als besonders wertvoll erachtete. Ein sehr großer Teil der Sammlung besteht zudem aus zahlreichen aus Holz geschnitzten Masken und Skulpturen, die von Initiationsgesellschaften verwendet wurden. Darunter ragt ein bedeutendes Konvolut fein geschnitzter sogenannter Ci Wara-Kopfaufsätze heraus, die von Museumsexpert*innen und Kunsthistoriker*innen als besonders wertvoll erachtet werden.

Kooperative Zukunft

Im Lichte der eingangs erwähnten Debatte stellt sich nun die Frage, wie heute mit diesen, bisher unerforschten, materiellen Zeugnissen umgegangen werden soll. Dafür fokussiere ich in meiner Forschungsarbeit auf ein spezifisches Objektkonvolut aus Mali, um vertiefend nachvollziehen zu können, welche Interessen hinter dem Erwerb der Objekte standen, wie diese konkret vor Ort gesammelt wurden und inwieweit der damalige koloniale Kontext diese Prozesse beeinflusst hat.

Musée National du Mali
C. Bründlmayer
Musée National du Mali

Eine zentrale Rolle spielt dabei die Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten aus den Herkunftsländern der Objekte. Diese bietet die Möglichkeit, eurozentrische Sichtweisen auf die Sammlungsgeschichte zu überwinden und den gegenseitigen Wissensaustausch zu fördern. Sie helfen, der Reproduktion überholter wissenschaftlicher Paradigmen, der Klassifizierung und Repräsentation der Sammlungsobjekte und ihrer Geschichten entgegenzuwirken. Der Fokus liegt dabei einerseits auf dem kulturellen Verlust, den die Menschen in den Herkunftsländern der Sammlungen heute möglicherweise empfinden, aber auch auf dem potenziellen Wert, der heute von diesen Objekten zurückfließen könnte.

Daouda Keita in den Ausstellungsräumen des Musée National du Mali, Juni 2019
MNM
Daouda Keita in den Ausstellungsräumen des Musée National du Mali, Juni 2019

Für Daouda Keita, Archäologe und neuer Direktor des Nationalmuseums von Mali in Bamako, ist gerade dieser letzte Aspekt von enormer Wichtigkeit. Auch wenn viele Gegenstände ihre rituelle Funktion verloren haben, so Keita, spielen sie als Träger von Erinnerung nach wie vor eine wichtige Rolle. Auch Samuel Sidibé, Keitas Vorgänger, betont die Wichtigkeit des kulturellen Erbes für die gegenwärtige malische Generation. „Es ist die Möglichkeit für die heutigen Generationen, in ihrer Geschichte verwurzelt zu sein. Wenn dieses Erbe verschwindet, bedeutet dies einen Bruch im kulturellen Prozess, im Bildungsprozess. Jedes Land, jede Gemeinschaft sollte die Möglichkeit haben, einen Blick auf ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu werfen.“ Die gemeinsame Aufarbeitung der Sammlungsgeschichte sowie eine offene und transparente Beleuchtung der Erwerbskontexte spielen dabei eine wichtige Rolle.

In Hinblick auf die aktuelle Debatte rund um Sammlungen aus ehemaligen europäischen Kolonien ist es mehr denn je von zentraler Bedeutung, die spezifischen Historiografien ethnografischer Sammlungen und die historischen Umstände ihrer Zusammenstellung zu verstehen, um ihr gegenwärtiges Potenzial, auch in der Zusammenarbeit mit Herkunftsgesellschaften, auszuloten. Mit meiner Forschungsarbeit möchte ich anhand eines spezifischen Fallbeispiels einen fundierten Beitrag dazu leisten und neue Strategien des Umgangs mit ethnologischen Museumsbeständen entwickeln.