Forscher graben nach Knochen in einer Höhle
Homo sapiens

Die ältesten Menschenknochen Europas

Fossilfunde in Bulgarien werfen neues Licht auf die Urgeschichte des modernen Menschen: Der Homo sapiens wanderte bereits vor 45.000 Jahren von Afrika nach Osteuropa aus – und begann den bereits ansässigen Neandertaler zu verdrängen.

Vor 30.000 Jahren verschwanden die letzten der einst zahlreichen Neandertaler-Populationen von der Bildfläche, dann gab es nach Jahrtausenden der Koexistenz nur mehr eine Menschenart auf der Erde: den Homo sapiens. Dieses Kapitel an der Grenze von Natur- und Kulturgeschichte ist gut dokumentiert, doch die Zeit davor gibt Forschern immer noch Rätsel auf.

Wann begann der Niedergang des Neandertalers, warum endete seine mehr als 100.000 Jahre dauernde und über weite Strecken sehr erfolgreiche Besiedlung des europäischen Kontinents? Antworten auf diese Fragen liefern nun zwei Studien in „Nature“ und „Nature Ecology & Evolution“. In den beiden Fachjournalen berichten zwei Forscherteams von Knochenfunden aus der Bacho-Kiro-Höhle in der Nähe der bulgarischen Stadt Drjanowo. Die Höhle ist seit den 1970ern eine beliebte archäologische Forschungsstätte, im Jahr 2015 entdeckten dort Wissenschaftler Tausende Tierknochen, Steinwerkzeuge sowie Menschenknochen unbekannten Alters und Ursprungs.

Alter: 45.000 Jahre

Welch wertvolle Fundstücke da aus dem Erdreich befördert wurden, wird erst jetzt klar: Bei den stark beschädigten Knochen handelt es sich laut Protein- und DNA-Analysen um Reste moderner Menschen. Sie sind 45.000 Jahre alt – mithin die ältesten Spuren unserer Art auf dem europäischen Kontinent. Zum Vergleich: Die bisher ältesten Sapiens-Knochen Europas, entdeckt in einer rumänischen Karsthöhle, wurden auf 41.000 Jahre vor unserer Zeit datiert.

Die nun vorgestellten Fossilien stammen den Untersuchungen zufolge von fünf Individuen, es handelt sich um „Pioniere, die neue Verhaltensweisen nach Europa brachten und mit den örtlichen Neandertalern in Kontakt kamen“, sagt Studienautor Jean-Jaques Hubin vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Was der französische Anthropologe mit der Bescheidenheit des Empirikers als „neue Verhaltensweisen“ beschreibt, könnte man freilich auch als Anzeichen einer kulturellen Revolution bezeichnen, denn die anderen Fundstücke aus der Bacho-Kiro-Höhle legen nahe, dass in dieser Zeit etwa grundlegend Neues passiert sein muss.

Neuartige Steinwerkzeuge

Die Pioniere führten etwa eine neuartige Technologie für die Herstellung von Steinklingen ein, die dafür notwendigen Feuersteine stammen aus bis zu 180 Kilometer weit entfernten Abbaustätten, der Bewegungsradius der Ankömmlinge war also durchaus beträchtlich. Am meisten überrascht haben die Forscher die in der Höhle entdeckten Knochenwerkzeuge: Sie wurden mit persönlichen Ornamenten versehen, betont Tsenka Tsanova, ebenfalls vom Leipziger Max-Planck-Institut. Das war zu dieser Zeit ein absolutes Novum, „von den Neandertalern kannten wir so etwas nicht“.

Klingen und Keile: Steinwerkzeuge aus der Bacho-Kiro-Höhle
Steinwerkzeuge aus der Bacho-Kiro-Höhle

Was die Frage aufwirft: Kann man daraus etwas über die geistigen Fähigkeiten der beiden Menschenarten ableiten? Eventuell sogar über ihr Selbstverständnis, die Arbeitsteilung und die Art ihrer Kommunikation? Dass es in dieser Hinsicht Unterschiede gegeben hat, ist wahrscheinlich, wenngleich nicht durch direkte Evidenz belegbar.

Sicher ist, dass vor 45.000 Jahren im Osten Europas zwei unterschiedliche Kulturen aufeinandertrafen, von denen die eine einen Aufschwung nahm und die andere langsam, aber sicher ihrem Ende zusteuerte. Physisch, als eigenständige Art oder Unterart, ist der Neandertaler zweifelsohne verschwunden. Doch genetisch lebt er bis heute in uns weiter.

Das trifft übrigens auch auf den Denisova-Menschen zu, der zu dieser Zeit in Asien auf den Homo sapiens traf. Die Parallelen zum Schauplatz Europa sind unübersehbar: Auch die Denisovaner wurden schrittweise vom modernen Menschen verdrängt, auch sie haben mit dem modernen Menschen erfolgreich Nachkommen gezeugt, wie sich durch „archaische“ DNA in unserem Erbgut beweisen lässt. Bei Europäern stammen ein bis vier Prozent des Genmaterials von unseren verschwundenen Verwandten. Im Erbgut von Melanesiern ist der „archaische“ Anteil etwa doppelt so hoch.