Netzwerk der Welt
Julien Eichinger – stock.adobe.com
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Corona-Forschung

„Wettlauf wird nicht in Europa entschieden“

Seit das neuartige Coronavirus eine Pandemie ausgelöst hat, arbeitet die Forschung mit Hochdruck an Medikamenten und Impfstoffen. Eine Netzwerkanalyse zeigt: Die wissenschaftlichen Zentren liegen in China und den USA, sie ziehen auch die Expertise aus Europa an.

Die Analytiker von FAS.research, einem auf Netzwerkanalyse spezialisierten Forschungsunternehmen in Wien, haben 5.000 Artikel in „Scopus“ ausgewertet. Sie sind in der Datenbank zu wissenschaftlicher Literatur im Zeitraum von Anfang 2019 bis zum 10. Mai 2020 erschienen. Eingeflossen sind alle Publikationen, in denen sich Schlagwörter zur aktuellen Pandemie wie „Covid-19“, „Corona virus“ oder „Sars-CoV“ gefunden haben. Insgesamt mehr als 24.000 Wissenschaftler und Forscherinnen haben sie dadurch erfasst, die an 5.500 Instituten und Universitäten in 137 Ländern arbeiten.

Die Analyse zeigt: In der Welt der Wissenschaft dominieren China und die USA, sowohl was die Anzahl der Publikationen als auch die Zitate betrifft. 60 Prozent aller Zitate gehen demnach auf chinesische Forscherinnen und Forscher zurück, 30 Prozent auf US-amerikanische. Und das habe nicht nur damit zu tun, dass China früher von Covid-19 betroffen war als der Rest der Welt, sagt der Geschäftsführer von FAS.research, Harald Katzmair. „Das beobachtet man in vielen Bereichen der medinischen Forschung. China und die USA sind die zwei Epizentren, auch in der Krebsforschung beispielsweise sieht man ein ähnliches Bild.“

Das Netzwerk der internationalen Corona-Forschung.
FAS.research
China und die USA dominieren die medizinische Forschung – nicht nur in der aktuellen Pandemie, sondern auch in „Normalzeiten“.

In Europa fallen Italien, Frankreich und Deutschland auf, wo ebenfalls international publiziert wurde – zwar nicht vergleichbar mit dem Ausmaß in China und USA, aber dennoch. Und auch die Bedeutung von Großbritannien zeigt sich in dieser Analyse: Nicht nur sind dort zehn Prozent aller Studien erschienen, das Land ist auch in der aktuellen Pandemie ein wichtiger Brückenkopf zu den USA. Viele Studien entstehen in Kooperation mit US-amerikanischen Einrichtungen.

Endogamie in China besonders ausgeprägt

Kooperation bzw. Abgeschlossenheit ist ein weiterer Faktor, der in der Netzwerkanalyse genauer untersucht wurde. „Wir nennen das den Endogamie-Faktor. Er zeigt, wie geschlossen ein System ist“, so Katzmair. Und da zeigt sich: 68 Prozent der chinesischen Forscherinnen und Forscher arbeiten nur mit Wissenschaftlern aus China zusammen. Katzmair interpretiert das als einen Hinweis darauf, dass Forschung an Medikamenten und Impfstoffen als nationales Projekt gesehen wird, für das man die inländischen Kräfte bündelt.

Ö1 Sendungshinweis:

Über das Thema berichtet auch „Wissen Aktuell“ am 13.5.2020.

Wenn China mit einem anderen Staat kooperiert, dann sind das meist die USA. Dort zeigt sich ein ähnliches Bild: Die Hälfte aller Kooperationen kommt aus dem eigenen Land. Ganz anders das Bild in Europa: Nur in Frankreich sucht ein Drittel der Forscher die inländische Zusammenarbeit. Die europäischen Staaten untereinander arbeiten wenig zusammen, sie suchen die Kooperation mit den USA. „Logisch, denn US-amerikanische Ko-Autoren bedeuten mehr Anerkennung im Wissenschaftssystem“, so Katzmair.

Und wo rangiert Österreich in dieser globalen Rangliste? Es liegt auf Platz Nr. 33 mit 28 Publikationen seit Anfang 2019, in unmittelbarer Nachbarschaft von Macao und Malaysien. Zum Vergleich: Von den führenden Nationen China und USA wurden 1.404 bzw. 1.266 Studien gefunden, von Großbritannien 511, von Deutschland 205. In Österreich arbeiten von den international beteiligten Wissenschaftlern die meisten an den Medizin-Universitäten in Innsbruck und Wien.

Cluster haben Sogeffekt

Seit Beginn der Coronavirus-Krise sind praktisch alle wichtigen Studien öffentlich zugänglich – ist es da nicht egal, wo ein Wissenschaftler, eine Forscherin sitzt? „In der Theorie ja“, sagt der Netzwerkforscher. „In der Praxis sehen wir aber, dass ein Impfstoff oder ein Medikament in erster Linie für die Bevölkerung jenes Landes produziert wird, wo die Forschung stattgefunden hat. Ein Cluster ist in der Netzwerkanalyse nicht neutral, er hat einen Sogeffekt. Dort sind Status und Geld zuhause. Wie ein Staubsauger wird alles aufgesaugt.“

„Das Match gegen Covid-19 wird in den USA und China entschieden“, sagt Harald Katzmair. Forschungsplattformen, wie sie zuletzt von der Europäischen Union gestartet wurden, seien spannend. Möglicherweise könne Europa davon profitieren, dass die Zusammenarbeit zwischen China und den USA durch die politischen Spannungen schwieriger wird. Katzmair ist aber nur vorsichtig optimistisch, denn: „Austauschstrukturen müssen über viele Jahre wachsen. Man kooperiert in der Krise nicht mit ganz neuen Partnern, sondern baut auf bestehenden Beziehungen auf.“ Die Vorbereitung auf die nächste Krise müsste deshalb schon heute beginnen.