Coronavirus- Unterricht in einem Turnsaal in Wien
APA/HANS PUNZ
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Matura 2020

Kompetenzen für die Zukunft

Das Coronavirus hat die Spielregeln für die heurige Zentralmatura geändert. Die rund 42.000 Maturantinnen und Maturanten treten schriftlich in drei Fächern an, der mündliche Teil entfällt. Der Jahrgang 2020 könne trotz der abgespeckten Reifeprüfung gegenüber anderen Jahrgängen punkten, sagt die Bildungspsychologin Christiane Spiel – mit Kompetenzen wie Selbstorganisation und Selbstmotivation, die in der heutigen Zeit sehr gefragt sind.

In Österreich besteht der Schulabschluss an AHS und BHS normalerweise aus einer schriftlichen und einer mündlichen Matura. Heuer fällt die mündliche Leistungsschau infolge der Coronavirus-Pandemie aus. Manch einer stellt sich die Frage, ob der diesjährige Maturajahrgang eventuell mit dem Makel leben wird müssen, als nicht vollwertig zu gelten, da ein Teil des Prüfungsrituals gestrichen wurde.

Aus Sicht der Bildungspsychologin Christiane Spiel von der Universität Wien gibt es keinen Grund, den Maturajahrgang 2020 als nicht ebenbürtig zu betrachten, im Gegenteil. Die jungen Frauen und Männer, die heuer Ende Mai zur Matura antreten, hätten sich in wenigen Wochen Kompetenzen aneignen müssen, mit denen selbst viele Erwachsene zu kämpfen hätten. Sie hätten lernen müssen, mit Unvorhersehbarkeiten umzugehen, sich selbst zu organisieren und – ganz im Sinne des Spruchs „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“ – sich Fähigkeiten anzueignen, die hilfreich für ein Leben in einer vernetzten Gesellschaft seien.

„Man darf nicht unterschätzen, was es bedeutet, wenn ich mich als Schüler/Schülerin plötzlich in einer Situation wiederfinde, die ich null erwartet habe und mit der ich umgehen muss. Plötzlich bin ich zu Hause, muss allein lernen, auch wenn ich weiter Informationen aus der Schule bekomme. Aber der Informationsfluss ist komplett anders“, sagt Christiane Spiel.

Die Zentralmatura verlangt 2020 verlangt nach noch mehr Selbstorganisation als – wie auf dem Bild – 2015
APA/HANS KLAUS TECHT
Die Zentralmatura 2020 verlangt nach noch mehr Selbstorganisation als – wie auf dem Bild – 2015

„Zweites Thema ist der hohe Grad der Unsicherheit, mit der die Jugendlichen umgehen mussten. Gerade im Bildungsbereich sind wir ja gewohnt, dass Dinge vorhersehbar sind.“ Normalerweise seien Schüler/Schülerinnen gewohnt, genau zu wissen, an welchem Tag und in welcher Unterrichtsstunde etwa die Mathematikschularbeit oder der Englischtest stattfindet.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 18.5., 12.00 Uhr.

Dieser Maturajahrgang hat lange nicht gewusst, ob er antreten wird können und ob heuer überhaupt ein Schulabschluss möglich sein wird. Mit dieser Unsicherheit umgehen zu können, sei ein Zeichen von Reife und habe dem Jahrgang 2020 wichtige Lernerfahrungen geschenkt.

Selbstorganisation und Selbstmotivation

Zur „Coronavirus-Lernwelt“ der letzten Wochen führt das Institut für Bildungspsychologie der Universität Wien Studien durch, unter anderem geht es dabei auch um „Selbstorganisation und Selbstmotivation“. Erste Erkenntnisse gibt es bereits. Es konnte gezeigt werden, dass Schülerinnen und Schüler ein Gefühl der Selbstermächtigung erfahren haben. Sie haben gesehen, dass sie sich selbstständig Lerninhalte zu Hause erarbeiten und auf den ersten Blick kaum schaffbare Herausforderungen meistern können. Dadurch fühlen sich viele gestärkt, empowert. Es sei jedoch völlig klar, sagt Spiel, dass nicht jede und jeder gleich gut mit der Situation umgehen konnte. Das hänge nicht zuletzt mit dem familiären Umfeld und der Unterstützung, die man erhalten hat, zusammen.

Selbstorganisation, Selbstmotivationen und Flexibilität seien wichtige Kompetenzen für die Gesellschaft der Gegenwart und Zukunft. Aus Sicht von Christiane Spiel sollte das Bildungssystem die Coronavirus-Krise als Chance sehen, um eingefahrene Wege zu hinterfragen; ein wichtiges Thema wäre hier – aus Sicht der Bildungspsychologie – die systematische Förderung der Selbstorganisation im Unterricht.

Ebenbürtiger Maturajahrgang

Zusammengefasst, sagt Spiel, dass dieser Maturajahrgang sich auf keinen Fall verstecken müsse. Der Wegfall der mündlichen Matura sei durch die Umstände absolut gerechtfertigt. Die Lernerfahrungen der letzten Wochen kompensierten die mündliche Matura bei Weitem. Es sei wichtig, einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, dass dieser Jahrgang ohne Zweifel eine besondere Herausforderung zu meistern hat.

Los geht die diesjährige Matura am 25. Mai mit den nicht standardisierten Prüfungsgebieten, also vor allem Fachklausuren an den berufsbildenden Höheren Schulen, am 26. Mai folgt Deutsch, am 27. Mai Englisch und am 28. Mai Mathematik.