Künstlerische Darstellung von DNA
©ktsdesign – stock.adobe.com
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Molekularbiologie

Wiener Forscher entdecken „Schlankmacher-Gen“

Während viele Menschen mit Diät und Sport versuchen, ihr Gewicht zu halten, bleiben andere schlank ohne viel Aufwand. Das könnte an einem „Schlankheits-Gen“ liegen, das ein Team um den österreichischen Genetiker Josef Penninger in einer neuen Studie beschreibt.

„Wir alle kennen solche Menschen: Rund ein Prozent der Bevölkerung kann essen, was es will, es trainiert nicht und nimmt dennoch nicht zu“, sagt Josef Penninger vom Life Sciences Institute an der University of British Columbia (Kanada). Während es zahlreiche Studien zur Genetik von Übergewicht gebe, habe sein Team nun das Gegenteil untersucht – die molekularbiologischen Wurzeln von Schlankheit.

Erbgut von 47.000 Esten und Estinnen untersucht

Die Forscherinnen und Forscher um Michael Orthofer vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien nahmen dafür die Erbgutdaten von über 47.000 Menschen aus der Datenbank des „Estonian Genome Center“ der Universität Tartu genau unter die Lupe. Diese Menschen hatten entweder einen besonders niedrigen Body-Mass-Index (BMI) oder waren normalgewichtig.

Wie sie am Donnerstag im Fachblatt „Cell“ berichten, trat in der Gruppe der besonders schlanken Menschen die Mutation eines bestimmten Gens gehäuft auf: Das von ihm gebildete ALK-Protein ("Anaplastic Lymphoma Kinase“) dient als Andockstelle in Zellen und kommt in mutierter Form häufig bei Krebsarten vor, wie etwa Lungenkrebs oder Neuroblastomen.

Ausgeschaltetes ALK-Gen macht Fliegen und Mäuse schlank

Um der Funktion in Bezug auf das Körpergewicht und die Fettverbrennung nachzugehen, manipulierten die Wissenschaftler das ALK-Gen bei Fruchtfliegen. Hier zeigte sich, dass beim Ausschalten des Genabschnittes auch bei zuckerreicher Kost die Blutfettwerte (Triglyceride) niedrig blieben.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 22.5., 13:55 Uhr.

Studien mit Mäusen erweiterten das Wissen: War das ALK-Gen im gesamten Köper stillgelegt, waren auch die Tiere schlank. Ihr Fettanteil war sogar nochmals reduziert, wenn die Mäuse fettreiche Nahrung bekamen und sich gleich viel bewegten wie die Tiere aus einer Vergleichsgruppe. Gegenüber dieser wurde nach wenigen Wochen sogar ein Unterschied im Körperfettanteil von 50 Prozent festgestellt.

IMBA-Illustration zu der Studie, die an das berühmte Körperbild von Leonardo da Vinci erinnert
IMBA/Kulcsar
IMBA-Illustration zu der Studie, die an das berühmte Körperbild von Leonardo da Vinci erinnert

Es zeigte sich zudem, dass die Mäuse mit stillgelegtem ALK-Gen zwar weniger Triglyceride, dafür aber mehr freie Fettsäuren und Glycerol im Blut aufwiesen. Letztere entstehen, wenn Triglyceride abgebaut werden – Fett also verbrannt wird. Dazu passt, dass ein erhöhter Spiegel eines Schlüsselenzyms bei der Fettverbrennung, der Lipase, gemessen wurde.

Entscheidende Gehirnregion

Die Forscherinnen und Forscher schalteten das ALK-Gen überdies gezielt in verschiedensten Bereichen des Körpers aus. Das wirkte sich im Fettgewebe, in den Muskeln, in der Leber und im Immunsystem nicht auf die Körperfülle der Tiere aus, in der Gehirnregion des Hypothalamus aber sehr wohl. Hier handelt es sich um eine der wichtigsten hormonellen Schaltzentralen des Körpers, von der aus verschiedene Funktionen reguliert werden – u. a. auch der Appetit und die Fettverbrennung.

Die Forscher konnten hier „dieselbe Gewichtsreduktion wie in Tieren beobachten, bei denen ALK im ganzen Körper ausgeschaltet wurde“, so Orthofer. Die Blockade in jenen Nervenzellen, „die aus dem Hypothalamus hervorgehen, heizt daher die Fettverbrennung an. Deswegen bleiben die Tiere dünner, selbst bei fettreicher Ernährung“.

Neuer Therapieansatz?

Für Penninger, der bis 2018 das IMBA geleitet hat und aktuell mit einem möglichen Coronavirus-Medikament immer wieder in den Schlagzeilen ist, hat man es bei der Entdeckung mit einer „vollkommen neuen und wesentlichen Schnittstelle im Gehirn“ zu tun, „die Nahrungsverwertung und Energiekreislauf steuert“. Die Hemmung des Gens „könnte womöglich eine neue Therapiemöglichkeit sein, um schlank zu bleiben.“

„Diese Beobachtungen sind aus meiner Sicht bereits klinisch höchst relevant und könnten die Basis für die Entwicklung neuer Strategien zur Gewichtsreduktion legen“, kommentierte der Leiter der Abteilung Stoffwechselerkrankungen und medizinische Molekularbiologie an der Uniklinik Salzburg, Bernhard Paulweber, die Arbeit des Wiener Teams.

Es sei u.a. besonders interessant, „dass die gesteigerte Lipolyse im Fettgewebe nicht zu einer erhöhten Fettablagerung in zentralen Stoffwechselgeweben, wie Leber und Muskulatur, führt“. Ob die Ergebnisse der Tierversuche tatsächlich auf den Menschen übertragbar sind und zu neuen Therapieansätzen führen werden, bleibt freilich abzuwarten – weitere Studien müssen noch einer Reihe offener Fragen nachgehen.