Illustration eines Blutgerinnsels
SciePro – stock.adobe.com
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Blutgerinnsel: Vieles noch unklar

Das Coronavirus kann nicht nur schwere Lungenentzündungen auslösen, sondern verursacht in manchen Fällen auch Lungenembolien und Thrombosen in anderen Organen. Dabei gibt es noch viele offene Fragen.

Bei einer offenen Wunde verhindert die Gerinnung, dass zu viel Blut verloren geht, darüber hinaus unterstützt das stockende Blut die Wundheilung. Eine ähnliche Funktion hat die Blutgerinnung auch bei Infektionen: Werden beispielsweise Zellen von einem Virus befallen, kontert der Körper mit einer Armee von Entzündungszellen. Sie verursachen Rötungen, Schwellungen und machen die Gefäße durchlässiger – bei Atemwegsinfektionen als Kratzen im Hals und Husten spürbar. „Die Entzündungsreaktion aktiviert die Gerinnung, um die Verletzungen in den Blutgefäßen abzudichten“, erklärt die Gefäßmedizinerin Irene Lang von der Medizinischen Universität Wien. Dieser Vorgang ist demnach nicht nur normal, sondern auch notwendig.

Wie Untersuchungen in den vergangenen Wochen und Monaten nun zeigen, kann SARS-CoV-2 allerdings die Gerinnungsaktivität im Körper komplett durcheinanderbringen, wodurch das Blut zu stark gerinnt und sich in manchen Fällen Blutklumpen bilden. In der Regel beginnt ein solcher Prozess in den Venen, wo das Blut langsam fließt, erklärt Lang. Später gerinnt das Blut auch in den Arterien. Die Blutpfropfen können sich aber auch lösen, Richtung Lunge, Herz, Gehirn sowie Niere wandern und kleinere Gefäße verstopfen. Die Folge sind Lungenembolien, Herzinfarkte oder Schlaganfälle.

Todesursache Lungenembolie

Dass die Gerinnselbildung möglicherweise auch Todesursache bei schwer verlaufenden COVID-19-Infektionen sein kann, bestätigen erste Obduktionsberichte aus Deutschland, der Schweiz und Österreich. In Deutschland hatten sechs der zwölf untersuchten COVID-19-Verstorbenen tiefe Beinvenenthrombosen, bei einem Drittel waren Lungenembolien die direkte Todesursache. In Österreich entdeckten die Mediziner zudem Schäden an anderen Organen wie Nieren, Leber und Bauchspeicheldrüse. Aus Ländern wie den USA berichteten Forscher wiederum von einigen COVID-19-Patienten, die plötzliche Schlaganfälle erlitten. „Das ist insofern erstaunlich, da Thrombosen in Venen und Arterien im Zusammenhang mit Virusinfekten der Atemwege normalerweise nicht auftreten“, erklärt Irene Lang.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in den Journalen: 23.5., 7 Uhr.

Untersuchungen in Krankenhäusern in den Niederlanden, Italien und Frankreich zufolge bilden etwa 20 bis 30 Prozent aller COVID-19 Patienten im Spital Blutgerinnsel. Häufig handelt es sich dabei um Patienten auf Intensivstationen mit bereits existierenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Da es zur Zeit nur Datenbanken, aber noch keine größeren Studien dazu gibt, ist noch unklar, wie viele Menschen tatsächlich betroffen sind. „Es gibt bei venösen, thrombotischen Ereignissen immer eine große Dunkelziffer. Wenn man die Thrombose nicht sucht, findet man sie auch nicht. Vor allem die Lungenembolie versteckt sich immer hinter Beschwerdefreiheit“, so Lang.

Was verursacht Thrombosen und Embolien?

Was die ungewöhnlichen Thrombosen und Embolien genau verursacht, ist noch nicht erforscht. Einerseits könnte es an einer überschießenden Immunantwort liegen. Dabei setzt der Körper als Reaktion auf die Viren einen regelrechten Sturm an Entzündungszellen frei. „Es kommt quasi zum Gewebskrieg. Dieser löst eine intensive Gerinnungsreaktion im Körper aus, der immer alles abzudichten versucht.“ Ob es zu einem solchen Sturm kommt oder nicht, könnte auch von der Virenmenge abhängen und damit auch für jüngere Menschen problematisch sein, so Lang, die selbst an der Meduni Wien den Zusammenhang von Entzündung und Thrombosen beforscht. „Bei uns forschen zwölf Arbeitsgruppen seit Jahren an diesem Thema. COVID-19 ist, glaube ich, der Beweis, wie wichtig dieser Zusammenhang ist.“ Genaueres müssen Studien aber erst noch zeigen.

Eine zweite Möglichkeit ist, dass das Virus direkt kleinere und größere Blutgefäße bzw. Endothelzellen befällt, also die Zellen der Gefäßwände. Durch die darauf folgende Entzündungsreaktion können direkt Thrombosen in den Gefäßen entstehen.

Auch bereits bekannte Faktoren können für die Gerinnselbildung entscheidend sein. So erhöht eine schwere Lungenentzündung bzw. der damit einhergehende Sauerstoffmangel an sich das Thromboserisiko. Genauso können Vorerkrankungen Gefäßblockaden begünstigen. „Man muss sich vorstellen, dass vor allem bei vaskulären Erkrankungen die Oberfläche der Gefäßinnenwand nicht mehr ganz glatt ist. Hier bleiben die Entzündungszellen, die eine Thrombose verursachen, leichter picken.“

Folgen für Behandlung

Um zu verstehen, was die Blutgerinnsel verursacht und welche Rolle SARS-CoV-2 dabei genau spielt, braucht es noch gründliche Studien. „Wir wissen im Grunde auch nicht, wo diese Thrombosen genau entstehen.“ Dadurch ist auch unklar, warum manche Menschen einen Schlaganfall erleiden und andere eine Lungenembolie.

Von diesem Wissen hängt nicht zuletzt der Erfolg einer Behandlung ab. Zwar erhalten schwer Erkrankte bereits jetzt vorbeugend mehr Blutverdünner als auf den Intensivstationen normalerweise üblich. Trotzdem können die Medikamente in manchen Fällen tödliche Lungenembolien oder Thrombosen nicht verhindern. Wie stark das Blut eines Patienten verdünnt werden muss, ist dabei eine Gratwanderung. Stoppt man die Gerinnung zu sehr, kann es dadurch zu lebensbedrohlichen Blutungen kommen. „Man muss immer abwägen und berechnen, wie groß das Risiko für Thrombosen ist und wie hoch das Blutungsrisiko.“

Eine wichtige Orientierungshilfe, um die Gerinnung mithilfe von Medikamenten angemessen einzustellen, scheint der Wert des D-Dimers zu sein: ein Molekül, das bei laufenden Gerinnungsprozessen im Körper freigesetzt wird. „Wie chinesische Forscher herausgefunden haben, steigt das Sterberisiko, wenn dieser Wert auf über ein Mikrogramm pro Milliliter ansteigt. Vielleicht ist das ein wichtiger Biomarker, um Thrombosen frühzeitig zu erkennen und in manchen Fällen prophylaktisch mit einer vollen gerinnungshemmenden Therapie zu behandeln.“ Wo im Körper die Gerinnung entsteht, kann allerdings auch dieser Wert nicht anzeigen. Das herauszufinden sei entscheidend, betont Lang. Auch um Medikamente entwickeln zu können, die die Blutgerinnung an der richtigen Stelle stoppen.