Einige Kurven von Erdbeben
AFP – FREDERICK FLORIN
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Seismologie

Erdbebenforschung profitiert von „Lock-down“

Die Coronavirus-Krise bietet der Erdbebenforschung ungeahnte Chancen. Durch den wochenlangen Stillstand vieler gesellschaftlicher Bereiche ist es auch auf der Erdoberfläche ruhiger geworden. Die Folge: Erdbebensignale waren besser zu erkennen als vor dem Coronavirus-„Lockdown“.

„Die Abnahme der Bodenbewegung war an vielen Stationen deutlich messbar“, sagt Seismologe Joachim Ritter vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Mit der schrittweisen Rückkehr zum normalen Leben rumort es inzwischen auf der Erdoberfläche wieder mehr. Von der Auswertung der Daten aus der Zeit der „Coronavirus-Stille“ erhofft sich der Geophysiker aber viele neue Erkenntnisse für die Erdbeben-Forschung. „Ich hoffe, dass wir an ein paar Messstellen Signale sehen werden, die wir sonst nicht entdeckt hätten“, sagt der KIT-Professor.

“Bis zu 30 Prozent weniger Geräuschemissionen“

Die Forscher gehen davon aus, dass sie mehr Mikrobeben aufspüren, die für die Vorhersage größerer Erdbeben von Bedeutung sind. „Normalerweise werden die Signale der kleinen Beben übertönt“, so Ritter.

„Die Erdoberfläche ist nie absolut ruhig, sondern ständig in leichter Bewegung“, erläutert der Geophysiker. Verursacht werde dieses für Menschen nicht spürbare „seismische Rauschen“ durch natürliche Ursachen wie Meereswellen und Wind, aber auch durch menschliche Quellen wie Verkehr, Bauarbeiten und Industrie. Vor allem schwere Lastwagen, Eisenbahnen und Windräder hinterlassen charakteristische Signale und lassen die Erde schwingen.

Tagsüber ist diese Bodenunruhe stärker als in der Nacht, an Werktagen heftiger als am Wochenende. Vor allem das vom Menschen verursachte Rauschen übertönt die meisten Erdbebenwellen – und stört die Forscher. Normalerweise. Seit Mitte März die Coronavirus-Einschränkungen griffen, registrierten Seismologen in Europa nach Angaben des KIT-Wissenschaftlers im Schnitt „20 bis 30 Prozent weniger Geräuschemissionen“.

Wie Weihnachten oder Ostern

Besonders auffallend war die Reduktion in großen Städten wie Mailand oder Stuttgart und an stark frequentierten Verkehrsachsen. „So wenig Rauschen ist sonst nur an Weihnachten oder Ostern“, sagt Ritter.

Unbeeindruckt vom Coronavirus-Lockdown zeigten sich nur Messstationen weit entfernt von menschlichen Rauschquellen: So war an der seismologischen Station im Schwarzwaldstollen Schiltach kaum eine Abnahme der Bodenbewegungen zu beobachten. Noch haben Seismologen nicht alle der deutschlandweit rund 300 Messstellen auswerten können. Ritter ist sich aber sicher, dass die Ergebnisse Stoff für „einige Studien in den nächsten Jahren“ bieten werden.